Die Handlungsmöglichkeiten für linke Kräfte scheinen in großen Teilen Ostdeutschlands gering. Was sind aktuell die Bedingungen für Kämpfe um Hegemonie?

David Begrich: Der rechte Block hat in Ostdeutschland vielerorts ganz klar die Hegemonie. Progressive Kräfte haben dagegen vor allem seit 2015 Probleme, sich politisch zu formieren und sprechfähig zu sein. Nehmen wir die Proteste gegen Inflation und die Energiekrise im Herbst und Winter: Die lagen in Magdeburg und an vielen anderen Orten sehr schnell in der Hand der AfD. Das ist zwar erstmal wieder abgeflaut. Grundsätzlich ist die politische Rechte und ihr Vorfeld in Ostdeutschland aber sehr effektiv darin, eigene Themen zu setzen und Fragen von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit zu dethematisieren. Erfolgreiche Tarifauseinandersetzungen oder progressive Initiativen in der Jugendarbeit können im Einzelnen zwar andere Erfahrungen ermöglichen. Bei den großen Erzählungen der gesellschaftlichen Widersprüche hatte aber die Rechte in den letzten fünf bis sieben Jahren das Heft in der Hand.

Welche historischen Erfahrungen spielen für die rechten Erfolge im Osten eine Rolle?

Oliver Preuss: Die AfD greift das Gefühl vieler Ostdeutscher auf, Bürger*innen zweiter Klasse zu sein. Die Chefs kommen aus dem Westen, sie selbst sehen keine Aufstiegschancen. Und da kommt die AfD und sagt: Jetzt geht es um euch. Der Partei gelingt es, ein Gefühl des Vernachlässigtseins anzusprechen, auch weil die strukturellen Probleme nicht gelöst sind. Im vergangenen Jahr erst hat Oettinger angekündigt, sich aus der Brauerei in Gotha zurückzuziehen, eine alte VEB- Brauerei. Die Beschäftigten haben nun wieder Angst, ihren Job zu verlieren, wie nach der Wende. Alles kommt immer wieder hoch. Das Gefühl, vom Westen abhängig zu sein, wird von Generation zu Generation weitergegeben. Und so erzählen mir selbst Leute, die kurz vor der Wende geboren sind, von der Treuhand und nicht anerkannten Berufsabschlüssen. Das erlebe ich gerade in Ostthüringen, wo eine starke Deindustrialisierung stattgefunden hat.

Wie kann sich die AfD das zunutze machen? 

PREUSS: Die AfD muss eigentlich sehr wenig machen, um von den Leuten als Verbündete wahrgenommen zu werden. Die sind vor Ort und hören zu. Die stellen keine komplexen oder gar kritischen Fragen oder versuchen, über politische Prozesse aufzuklären. Stattdessen liefern sie einfache und greifbare Feindbilder – egal ob es gegen Kommunalpolitiker*innen oder gegen Geflüchtete geht. Und genau das kommt bei den Leuten an.
BEGRICH: Rechter Protest ist in Ostdeutschland zudem eine Erfolgsgeschichte. Sowohl in den 1990er-Jahren wie auch 2015 konnte er die Politik und Teile der Öffentlichkeit – zumindest phasenweise – vor sich hertreiben. Wenn Polizei und Verwaltung vor den Rechten zurückweichen, ist der Effekt spürbar. Das sind Ermächtigungserfahrungen. Die Ideologieproduzenten der extremen Rechten in Ostdeutschland können insofern auf der Erfahrung aufbauen, dass die 1990er-Jahre für sie sehr gut gelaufen sind. Die extreme Rechte okkupiert dabei alles, was ihr hilfreich erscheint, um ihre Politik zu beglaubigen: Mal inszeniert sie sich als die Erbin der Bürgerrechtsbewegung in der DDR, mal als Friedensbewegung. Die nachvollziehbare Skepsis, die viele Ostdeutsche gegenüber den Institutionen der repräsentativen, westdeutsch geprägten Demokratie haben, kommt ihr dabei sehr gelegen.

Es scheint, dass sich die AfD immer stärker als Interessenvertreterin und neue Kümmerer-Partei des Ostens inszenieren will. Gelingt ihr das?

PREUSS: Das Kümmerer-Image hat eine Grenze, weil die AfD an keiner Regierung beteiligt ist. Sie hat bisher nicht die Macht, etwas zu verändern.
BEGRICH: Im Moment reicht es ihr aber aus, nur den Eindruck zu erwecken, sie sei eine Kümmerer-Partei. Thüringens AfD-Chef Björn Höcke und sein Umfeld führen das unter dem Schlagwort »solidarischer Patriotismus« und meinen damit die exklusive Solidarität innerhalb einer ethnozentrischen Volksgemeinschaft. Es ist klar, dass sie viel Kraft in die strategische Kommunikation investieren. Es geht darum, zu simulieren, sozial gerecht zu sein. Dass dies nicht mit der politischen Praxis vor Ort korrespondiert, spielt für die Anhängerschaft der Partei offenbar derzeit keine Rolle.

Welche parteipolitische Strategie verfolgt die AfD in Ostdeutschland?

BEGRICH: Die Ost-AfD gibt es nicht. In der Tendenz versuchen sich die zentralen Landesverbände aber alle an der französischen extremen Rechten zu orientieren, auch in der sozialen Frage. Die Hans-Thomas Tillschneiders und Björn Höckes der Partei sorgen zudem mit ihrer permanenten Strategie der Provokation und Polarisierung dafür, den Integrationsprozess der AfD in die Mechanismen des parlamentarischen Systems zumindest zu verlangsamen. Das ist ihr erklärtes Ziel: Sie wollen die AfD als Bewegungspartei erhalten und eine Koalitionsfähigkeit verhindern. Würden sich stattdessen pragmatische Akteure in der AfD durchsetzen, die zumindest rhetorisch herunterschalten, hätten wir eine ganz andere Situation. Im kommunalen Raum ist die schon längst eingetreten, wenn wir ehrlich sind: Vor Ort ist die AfD längst ein zentraler Akteur. Allerdings ist sie in den Kommunen oft strategisch nicht handlungsfähig. Sich darauf zu verlassen, dass das so bleibt, wäre aber falsch.

Was lässt sich gegen die Normalisierung der Partei machen?

PREUSS: Das Hauptproblem ist, dass es einen Rechtsruck bei allen Parteien gibt und rechte Positionen enttabuisiert werden. Wenn es um die politische Zusammenarbeit geht, braucht es aus meiner Sicht weiterhin eine klare Verweigerungshaltung. Sonst kann die AfD am Ende ihr Kümmerer-Image in die Tat umsetzen. Diesen Gefallen darf man ihr nicht tun.
BEGRICH: Immer wieder höre ich von Kommunalpolitiker*innen, dass sie es nicht durchhalten, niemals mit der AfD abzustimmen. In der Beratung bei uns äußern sie ihren Unmut. Sie interagieren mit der AfD und werden dafür von der Bundespartei kritisiert. In der Folge treten sie dann aus ihren Parteien aus. Wenn wir nicht wollen, dass eine Demokratieentleerung stattfindet, müssen wir dies kommunalpolitischen Akteur*innen in der Praxis stärken. Wir müssen ihnen etwas zurückgeben, was sie in den letzten Jahrzehnten verloren haben – echte Entscheidungs- und Handlungsmacht. Dafür ist unter anderem eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen essenziell.

Die Thüringer CDU hat im November mithilfe der AfD einen »Anti-Gender-Antrag« durchs Parlament gedrückt. Wie stark bewegt sie sich inhaltlich auf die extreme Rechte zu?

PREUSS: Die CDU will in Thüringen möglichst hohen Druck machen. Das sind erst mal Machtspiele und auch ein Abtasten, was möglich ist. Wir sehen dennoch im Erfurter Landtag, dass mehr Politiker*innen mit der AfD abstimmen, als sie Abgeordnete hat. Das kann in kritischen Situationen noch spannend werden. Denn in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen versuchen aktuell mehrere Parteien, rechtes Wähler*innenklientel abzufischen. Sie drücken damit die gesamt- gesellschaftliche Stimmung nach rechts.
BEGRICH: Die AfD zieht ihre Wähler*innen aus fast allen Milieus. Die internen Kämpfe finden daher auch in allen Parteien statt, bis auf die Grünen, die eine relativ homogene Wähler*innenbasis haben. Ich nehme bei allen anderen Parteien wiederkehrende und wellenartige Bewegungen in Richtung der AfD und ihrer Wähler*innen wahr, habituell und inhaltlich.

Wie bewertet ihr vor diesem Hintergrund das Vorgehen der LINKEN? Welche Rolle spielt die Partei derzeit im Osten im Kampf gegen rechts und welche sollte sie in Zukunft spielen?

PREUSS: Für viele Aktive im Osten ist die LINKE noch ein verlässlicher Partner im Kampf gegen rechts. Allerdings habe ich das Gefühl, dass diese Wahrnehmung zunehmend von Einzelpersonen abhängig ist. Was ich manchmal vermisse, ist das Zusammendenken von rechten Einstellungen und der sozialen Frage. Regelmäßig neigen Menschen in sozialen Problemlagen dazu, auch rechte Einstellungsmuster zu entwickeln. Das ist durch nichts zu rechtfertigen, aber ich glaube, dass eine starke und kämpferische Sozial- und Arbeitsmarktpolitik auch ein Teil der Präventionsarbeit gegen rechts sein kann. Darum ist auch das Engagement der Gewerkschaften gegen rechts so wichtig.


Gerade viele ostdeutsche Arbeiter*innen und Angestellte wählen die AfD. Was sind die Gründe?

BEGRICH: Das hat komplexe Ursachen. Ich will hier vor allem die gesellschaftliche Entwertung von körperlicher Arbeit betonen. In der DDR hieß es zumindest noch während meiner Ausbildungszeit, dass Menschen, die hart körperlich arbeiten, auch eine entsprechende gesellschaftliche Anerkennung verdient haben. Das hat sich nach der Wende radikal verändert. Die extreme Rechte mit ihren Erzählungen von Härte, Durchhaltevermögen und Männlichkeit gibt vor, sich für die Malocher*innen zu interessieren. Mit der Entwertung der körperlichen Arbeit ist eben auch eine Unsichtbarkeit der Arbeiter*innen entstanden. Hier existiert eine Leerstelle, die politisch nicht besetzt ist.

In diese Lücke versuchen auch extrem rechte Gewerkschaften wie das Zentrum zu stoßen. Wie erfolgreich sind sie mit dieser Strategie?

PREUSS: Von rund 50 000 Betriebsräten im Organisationsbereich der IG Metall sind nur 17 über eine  Zentrums-Liste  eingezogen, in Thüringen kein einziger. Trotzdem haben wir an der Basis Auseinandersetzungen, in denen auch rechte und extrem rechte Positionen vertreten werden. Die Chancen eines offensiven Umgangs damit haben wir als Gewerkschaft leider lange nicht ausreichend genutzt. In Leipzig und Zwickau etwa ist Zentrum in eigentlich gut organisierten Metallbetrieben präsent. Die Betriebsräte dort sind so in die Gremienarbeit einbezogen, dass sie in der Fläche kaum präsent sind. Meiner Wahrnehmung nach ist Zentrum dort erfolgreich, wo sich die Leute gegenüber Betriebsräten und großen Gewerkschaften entfremdet fühlen. Rechte Pseudo-Gewerkschaften können am Ende des Tages zwar nichts umsetzen, aber sie sind vor Ort und scheinen sich um die Anliegen der Leute zu kümmern. Als Gewerkschaft ist die wichtigste Gegenstrategie, dass Betriebsrät*innen verstärkt in die Fläche gehen, dass sie Einzelgespräche machen, präsent und ansprechbar sind. Dazu ist Aufklärung wichtig. Seit der Pandemie versucht Zentrum zum Beispiel auch, in das Gesundheitswesen reinzugehen, in Thüringen und Sachsen etwa. Da haben Kolleg*innen in der Gewerkschaft das registriert, haben frühzeitig Beratungen in den Betrieben angeboten und konnten das unterbinden.

Welche Rolle spielen Arbeitskämpfe für diese Auseinandersetzungen mit Rechten im Betrieb?

PREUSS: Es ist ganz wichtig, bei einem Arbeitskampf auch rassistische Spaltungen zu überwinden. Damit das gelingt, müssen wir aber auch als Gewerkschaften etwas verändern: Wir haben im Osten 30 Jahre lang praktisch keine migrantischen Beschäftigten organisiert oder ihnen Angebote gemacht. Da ist erst mal Basisarbeit zu leisten. Dann kann eine Tarifauseinandersetzung oder auch einfach nur die gemeinsame Organisierung dabei helfen, Solidarität erlebbar zu machen. Die Erfahrung, dass migrantische Kolleg*innen die gleichen Interessen haben und gemeinsam kämpfen, kann dazu beitragen, Ressentiments gar nicht erst entstehen zu lassen.


Neben den Betrieben sind gerade die ländlichen Regionen umkämpftes Terrain. Antifaschist*innen haben es hier oft nicht leicht. Wie können sie effektiv unterstützt werden?

BEGRICH: Es kommt darauf an, einen Trans- fer zu organisieren, der es den Menschen in den ländlichen Regionen erlaubt, auch dort zu bleiben. Meiner Erfahrung nach halten die Leute das Engagement in einer Kleinstadt etwa vier Jahre durch, dann sind sie erschöpft und schaffen es nicht mehr, gegen Windmühlen anzukämpfen. Es ist wichtig, diese Aktiven vor Ort zu halten, aber dafür gibt es kein Patentrezept. Ich kann jede*n verstehen, die oder der nicht mehr kann und irgendwann wegzieht. Dagegen helfen keine moralischen Appelle, sondern nur handfeste Partnerschaften. Warum gehen zum Beispiel Theater aus den Metropolen nicht Kooperationen mit Kultureinrichtungen aus Kleinstädten ein? Da muss es nicht nur um finanzielle Unterstützung gehen, sondern auch um die Weitergabe von Wissen oder einfach um Motivation. Es gibt ja mit der Initiative Polylux bereits den Versuch, ein Netzwerk zwischen Metropolen und anderen Sozialräumen zu knüpfen, das langfristig trägt. Damit das funktionieren kann, ist Verlässlichkeit entscheidend: Zusagen müssen eingehalten werden.
PREUSS: Wir brauchen diese kontinuierlichen Partnerschaften auch bei Politgruppen. Sie können im ländlichen Raum gelingen, wenn es regelmäßigen Austausch gibt. Und da muss immer wieder passgenau entschieden werden, mit wem man Bündnisse eingeht. In Jena und Erfurt verzichten die Aktiven beispielsweise auf das Bündnis mit Parteien, weil es ihnen die breite zivilgesellschaftliche Struktur erlaubt. Im ländlichen Raum sind dagegen vielerorts Parteien wie die LINKE oder die SPD die zentralen festen Strukturen. Dann sind sie entsprechend auch in Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Bündnissen präsent. Da geht es dann auch darum, dass sie ein Feingefühl für die eigene Rolle entwickeln: Wo kann man etwas initiieren, wo beteiligt man sich nur? Und ganz wichtig: nicht eingeschnappt sein, weil man nicht mit der eigenen Fahne vorneweg laufen kann.

Ihr habt Kooperationen zwischen Land und Stadt angesprochen. Worauf ist denn zu achten, damit diese tatsächlich auch gelingen können?

PREUSS: Ich finde es problematisch, wenn Leute für eine einzelne Aktion in der Kleinstadt eine Bühne aufbauen und sich danach nie wieder dort blicken lassen. Das bringt keinen dauerhaften Erfolg und  verbrennt nur viel Geld. Wenn man keine Kraft hat, um langfristig aktiv zu sein, muss man den Aktiven vor Ort ehrlich sagen: Wenn es keine Strukturen gibt, die dich stützen, dann geh’ lieber weg, bevor du kaputtgehst. Grundsätzlich braucht es aber auch mehr Kreativität und mehr »Punkrock«, um an solchen Orten etwas zu bewegen. Oft höre ich Bedenken, dass Veranstaltungen auf dem Land sowieso nicht klappen könnte, etwa weil es keine passenden Räume gebe oder die Anfragen von komischen Leuten kämen. Da sage ich: Im Zweifel müssen wir eben auch in den Tante-Emma-Laden, in die Dorfkneipe oder mit Magengrummeln auch in den Schützenverein. Piekfeine Räume wird es auf dem Land nicht geben. Den Anspruch sollte man aufgeben.

Geht es also auch darum, die eigenen Erwartungen zu verändern? Was sind im Moment realistische strategische Ziele im Kampf gegen rechts?

BEGRICH: Gewinnen steht derzeit leider nicht auf der Tagesordnung. Die zunehmenden Krisen laden stark zur gesellschaftlichen Entsolidarisierung ein, gerade auch in Ostdeutschland. Wir müssen uns in dieser Situation fragen: Wie können wir bereits Erreichtes bewahren? Und wo sind die gesellschaftlichen Räume, in denen überhaupt demokratische und emanzipatorische Inhalte diskutiert und erprobt werden können? Ich komme beispielsweise aus dem Bereich der Kirche. Dort finden aktuell sehr interessante Debatten statt. Es wird darum gerungen, wo die Kirche als Institution in Zeiten des strukturellen Umbaus und des Rückzugs aus den Regionen ihre Schwerpunkte setzen soll. In den ländlichen Räumen Ostdeutschlands ist sie ein wichtiger Faktor für gelebte lokale Demokratie, so wie übrigens auch die Feuerwehr und die Sportvereine. Zumindest können diese Orte ein solcher Faktor sein, wenn sie die demokratische Aufgabe an- und ernstnehmen. Darum ist es so wichtig, in diesen verschiedenen Milieus entsprechende Lernprozesse zu organisieren und zu unterstützen.


Das Gespräch führte Sebastian Bähr.