Der Kapitalismus muss überwunden werden, da sind sich viele Linke einig. Doch welche konkrete ökonomische Alternative können wir als Sozialist*innen anbieten, die der Komplexität moderner Gesellschaften gerecht wird? Seit einiger Zeit diskutieren linke Gruppen und Akteure wieder stärker diese Frage und entdecken Stück für Stück eine vermeintlich angestaubte Idee wieder: die demokratisch-sozialistische Wirtschaftsplanung.

Ökonomische Planung drängt sich angesichts der Reichweite der kapitalistischen Krisen auf. Das globale Ausmaß und die existenzielle Dimension der ökologischen Krise verlangen nach einem alternativen Mechanismus der ökonomischen Koordination. Die Idee der demokratischen Wirtschaftsplanung markiert die Suchbewegung nach einer solchen Form der Koordination, die Unsicherheit nicht individualisiert und mehr Gestaltungsmöglichkeiten für alle bereithält als eine markbasierte Wirtschaft. 

Bereits in der heutigen Marktwirtschaft wird umfänglich geplant, jedoch unter kapitalistischen Vorzeichen. Unternehmen nutzen aufwendige Planungsinfrastrukturen, um interne Risiken zu reduzieren. Und auch Staaten müssen fortwährend planen, um die Bedingungen neoliberal-kapitalistischen Wirtschaftens herzustellen. Daran zeigt sich, dass die Dichotomie von Markt und Plan Ideologie ist.

Aktuell setzen verschiedene Akteure Planungsfragen wieder auf die Agenda. Die »Planwirtschaftsdebatte 2.0« ist aber bislang vor allem eine akademische, zum Teil populärwissenschaftliche Diskussion, die in vielen progressiven Kreisen nicht aufgegriffen wird. Auch weist sie Leerstellen auf, etwa bei der Verarbeitung der realsozialistischen Erfahrung und der Entwicklung konkreter Transformationsstrategien. Wir wollen die Diskussion ausweiten und vertiefen– und schlagen einen dezidiert demokratischen und sozialistischen Planungsbegriff vor.

Keine Planung ist auch keine Lösung

Die multiplen Krisen unserer Zeit erfordern einen grundlegenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, doch dieser kann und wird unter kapitalistischen Vorzeichen, mit atomistischer Wirtschaftskonkurrenz und Profitzwang, nicht gelingen. Statt den CO2-Ausstoß und die drastische Zerstörung von Ressourcen und Biodiversität zu reduzieren, wird an alten Produktionsmodellen festgehalten. Soziale und ökologische Kosten werden in großem Stil und im globalen Maßstab externalisiert. Die kapitalistische Produktionsweise verschärft die ökologische Krise sowie die Krise der sozialen Reproduktion, sie befeuert soziale Ungleichheit, Nationalismus und Rassismus. Kurzum: Sie untergräbt unsere Lebensgrundlagen und die Demokratie.

Im Zuge einer eskalierenden Klima- und Biodiversitätskrise, wachsender geopolitischer Spannungen sowie entfesselter Finanzmärkte werden wir auch hierzulande mit Wirtschafts- und Finanzkrisen, Preisschocks und Einkommensverlusten sowie mit zunehmendem Wassermangel und Extremwetterereignissen konfrontiert sein. Allein aus diesen Gründen werden vorausschauend geplante und sozial gerechte Präventions- oder Nothilfemaßnahmen jenseits dysfunktionaler Marktsteuerung für das gesellschaftliche Überleben immer wichtiger – und für viele Menschen auch plausibler. Zugleich erleben wir, wie im Zuge zunehmender geopolitischer Konfrontationen und weltwirtschaftlicher Konkurrenz staatliche Planung und Steuerung verstärkt auf die politische Agenda kommen. Die USA setzen in der Konkurrenz mit dem staatskapitalistischen China auf weitreichende Markinterventionen für den Auf- und Ausbau strategisch bedeutsamer Industrien und Infrastrukturen. Gezielte staatliche Interventionen und Planung gelangen zur Anwendung, um die ökonomische Hegemonie des kapitalistischen Westens zu stabilisieren. Mit der möglichen Herausbildung eines grünen Kapitalismus als neuem Akkumulationsregime werden diese Politiken zunehmen, ökonomische Planung innerhalb des Kapitalismus wird voraussichtlich an Bedeutung gewinnen.

Kapitalismus ist Markt, alles andere ist Planung – dieses hartnäckige Vorurteil ist schon lange nicht mehr haltbar. Staatliche Interventionspolitiken im Kapitalismus sind jedoch kein positiver Bezugsrahmen für einen sozialistischen Begriff von Steuerung, Regulation und vor allem Wirtschaftsplanung. Sie können aber Räume öffnen, in denen diese Ansätze wieder denk- und sprechbar werden, und die mächtige Chiffre von der Überlegenheit der unsichtbaren Hand des Marktes ins Wanken bringen.

Wirtschaftsplanung 2.0 – die akademische Debatte

Die Annahme, dass Planung dem Kapitalismus vollkommen fremd ist, wurde 2019 in dem Buch »The People’s Republic of Walmart. How the World’s Biggest Corporations are Laying the Foundations for Socialism« prominent infrage gestellt. Die Autoren Phillips und Rozworksi zeigen, dass neben Staaten auch multinationale Konzerne intern umfängliche Planungsprozesse nutzen: Logistische Abläufe werden technologiegestützt optimiert, um Risiken innerhalb von Lieferketten zu minimieren und so Profite zu maximieren. Wenn also nicht nur in der DDR geplant wurde, sondern auch in den Firmenzentralen von Amazon, Walmart und Co., dann drängt sich die Frage auf: Wer plant welche Kenngrößen in welchem Interesse?

Im Anschluss an Phillips und Rozworski beschäftigt sich ein Strang der neuen Debatte um demokratische Wirtschaftsplanung mit digitalen Technologien, Algorithmen und Künstlicher Intelligenz und sucht darin nach neuen Lösungen für das klassische Problem der sozialistischen Kalkulation (Groos 2021; Morozov 2019). Georg Jochum und Simon Schaupp (2019, 99) argumentieren, dass durch eine potenzielle Aneignung der neuen »Steuerungskräfte« eine »radikaldemokratische Deliberation über komplexe ökonomische Fragen technisch in den Bereich des Möglichen rückt«. 

Die »erste« Debatte um ökonomische Planung ist als Socialist oder Economic Calculation Debate bekannt geworden und wurde in den 1920er- bis 1940er- Jahren zwischen liberalen und sozialistischen Ökonomen geführt. Während Sozialisten wie Otto Neurath für die Überlegenheit und Rationalität sozialistischen Wirtschaftens argumentierten, hielten Vertreter der österreichischen Schule wie Ludwig von Mises oder Friedrich August von Hayek den Koordinationsmechanismus des Markts gegenüber der angeblich dysfunktionalen sozialistisch-planerischen Wirtschaftsrechnung hoch.

Gegen diese Behauptung einer prinzipiellen und praktischen Unmöglichkeit demokratisch organisierter sozialistischer Wirtschaftsplanung richtet sich ein neuer Debattenstrang. Hier werden konkrete ökonomische Modelle entwickelt, die ausbuchstabieren sollen, inwiefern eine geplante Produktionsweise in komplexen Gesellschaften technisch realisierbar ist (Hahnel 2021; Cockshott/Cottrell 1993). Innerhalb der Modelldiskussion bilden sich zunehmend Ansätze heraus, die explizit Visionen einer ökosozialistischen Zukunft entwerfen (Durand u. a. 2023; Vettese/Pendergrass 2022). Eine geplante Reduktion des Wirtschaftswachstums bei gleichzeitiger Ausrichtung auf eine gemeinwohlorientierte Bedürfnisbefriedigung könnte, so die Hoffnung, die sozialistische und sozial-ökologische Transformation einleiten.

Es gibt einige Ansätze und Kämpfe im Hier und Jetzt, die sich konkret mit der Frage nach den Wegen und Möglichkeiten der Transformation befassen – damit, wie eine Demokratisierung der Wirtschaftsplanung nicht nur gefordert, sondern auch politisch durchgesetzt werden kann. In Frankreich hat das Linksbündnis NUPES die ökologische Planung in den Mittelpunkt seines politischen Programms gestellt. In Deutschland hat das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen in Berlin Furore gemacht. Es ist nur das bekannteste Beispiel zahlreicher Initiativen, die für die Rekommunalisierung und Demokratisierung von privatisierten Dienstleistungen eintreten. Hier liegen Anknüpfungspunkte, um Konzepte einer demokratisch geplanten Daseinsvorsorge mit der Eigentumsfrage zu verbinden und diese Diskussionen zu popularisieren.

Auf dem Weg zu einem emanzipatorischen Planungsbegriff

Wenn wir sozialistische Planwirtschaftsdebatten wieder aufgreifen und ihr Potenzial für eine freiere und gleichere Zukunft für alle freilegen, sollten wir über eine reine Machbarkeitsdiskussion hinausgehen: Zwar müssen wir auch heute beantworten, inwieweit eine funktionsfähige Wirtschaftsweise ohne Markt und Preissignal denk- und umsetzbar wäre. Darüber hinaus müssen wir jedoch die politischen Modalitäten und Bedingungen ökonomischer Planung in den Blick nehmen.

Denn angesichts gegenwärtiger Planungspraxen erscheint diese Form der Koordination keineswegs als ein Schritt in eine sozialistische Zukunft: Kapitalistische Planung, ob von staatlicher oder privatwirtschaftlicher Seite, ist heute top-down organisiert und dem Zweck der Profitmaximierung und Kapitalakkumulation unterworfen. Von welcher Form der Planung sprechen wir also, wenn wir uns positiv auf Wirtschaftsplanung beziehen und konkrete Vorschläge dafür entwickeln? 

In der Planungsdebatte kristallisieren sich aus unserer Sicht vor allem zwei Elemente heraus, die einen emanzipatorischen Planungsbegriff kennzeichnen. Sie ermöglichen eine kritische Auseinandersetzung mit den autoritären Formen der Wirtschaftsplanung im Realsozialismus und grenzen sich von technokratischer Planung ebenso ab wie von einer im Sinne des Kapitals mobilisierten Planung.

1 // Linke Wirtschaftsplanung muss in radikaler Weise demokratisch sein und auf einer substanziellen Form kollektiver demokratischer Gestaltung der Ökonomie beruhen. Die Planungsdebatte von reinen Machbarkeitsspekulationen zu lösen, trägt bereits zu ihrer Politisierung bei. Wenn wir die Frage nach den Subjekten der Planung – also: Wer plant? – ins Zentrum stellen, kann diskutiert werden, wie eine umfängliche Partizipation und demokratische Kontrolle auf unterschiedlichen Ebenen der Ökonomie aussehen müssten. Ein Blick zurück kann dabei helfen, diesen Anspruch genauer zu bestimmen: Die politische Forderung nach kollektiver Kontrolle ökonomischer Abläufe spiegelt das historische Ziel der Arbeiter*innenbewegung wider, die Produktion gemeinsam und nach eigenen Bedürfnissen zu regeln. Heute müssen wir uns konkrete Formen der Umsetzung und Institutionalisierung dieser Forderungen vorstellen und sie mit Blick auf die neuen technologischen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen aktualisieren.

2 // Linke Wirtschaftsplanung muss in sozialistischer Tradition stehen. Denn die Demokratisierung des Planungsprozesses muss zwingend verbunden sein mit der Frage nach der Verfügungsmacht über gesellschaftliche Produktionsmittel, also: Wer verfügt darüber? Wem gehören sie? Der wirtschaftliche Koordinationsmechanismus und die Eigentumsverhältnisse bedingen sich schließlich gegenseitig, das Privateigentum an Produktionsmitteln verhindert eine effektive, demokratische Wirtschaftsplanung im Einklang mit den Bedürfnissen aller. Hier zeigt sich eine Verbindung zur wiederbelebten Debatte um demokratische Wirtschaftsplanung und zu den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um Vergesellschaftung, denen es um die kollektive Aneignung von Infrastrukturen wie Wohnraum, Energie und öffentlicher Daseinsvorsorge geht – mit dem Ziel, sie dem Profitzwang zu entziehen und künftig gemeinwohlorientiert zu bewirtschaften.

Diese Beispiele zeigen bereits, dass ein substanziell sozialistischer und demokratischer Planungsbegriff heute die historische Verengung der Vergesellschaftung auf Betriebe und Sektoren der Industrieproduktion aufbrechen kann. Eine emanzipatorische Wirtschaftsplanung kann die kapitalistische Trennung der Sphären von Produktion und Reproduktion und die damit zusammenhängende patriarchale Arbeitsteilung sowie Geschlechterordnung infrage stellen. Denn das Ziel ist die kollektive Reproduktion und ein gutes Leben für alle. Unter demokratischer Wirtschaftsplanung verstehen wir daher nicht nur die Ausweitung der Demokratie auf den Bereich der Produktion, sondern auch die kollektive Gestaltung der Infrastrukturen der Sorge, ihre demokratische Umgestaltung sowie die Umverteilung der darin anfallenden Arbeitslasten.

Einem progressiven Begriff von Planung und den mit ihm verbundenen Forderungen geht es also ums Ganze, um eine umfassende Umwälzung der Verhältnisse. Dieser Horizont ist wichtig, damit wir in unserer Analyse und Politik im Hier und Jetzt an konkreten Projekten und Handlungsoptionen ansetzen können, ohne in die Falle des Reformismus zu tappen. Einen dezidiert demokratischen und sozialistischen Planungsbegriff zu entwickeln, erscheint uns als notwendige Vor- und beständige Begleitarbeit, um die aktuelle Auseinandersetzung um demokratische Wirtschaftsplanung voranzubringen. Gleichzeitig ist innerhalb dieser Leitplanken viel Platz für Streit und eine genauere Ausgestaltung dessen, was emanzipatorische Planung heißen könnte.

Die Zeit ist reif

Wir wollen die Debatte um ökonomische Planung und sozialistische Ökonomie auch deshalb stärken, weil wir meinen, dass die ökonomischen Forderungen der gesellschaftlichen Linken in den letzten Jahren (oder gar Jahrzehnten) ekla-tante programmatische Leerstellen aufwiesen. Im Zuge des Zusammenbruchs des Realsozialismus und der Verfestigung des Neoliberalismus haben sich viele Linke im Parlament und in Bewegungen entweder auf die Kritik der politischen Ökonomie zurückgezogen oder sich einem reformistischen Links-Keynesianismus verschrieben, mit etwas mehr expansiver Fiskalpolitik hier und ein bisschen stärkerer Umverteilung dort. Teilweise strickte die Linkspartei in Landesparlamenten und -regierungen sogar aktiv an Privatisierungen oder Politiken zur Stärkung des deutschen Wirtschaftsstandorts mit. Die Lösung der Krise linker Wirtschaftspolitik kann augenscheinlich nicht darin bestehen, einfach eine noch »bessere« bürgerliche Ökonomie auszuarbeiten – sonst handelt es sich nicht um sozialistische, sondern sozialdemokratische Politik, die erfolglos versucht, die Verwerfungen der kapitalistischen Akkumulation abzumildern. 

Aber auch die gesellschaftliche Linke, die nicht in Parteien organisiert ist, verharrt in der Anklage dessen, wogegen sie kämpft und was abgeschafft werden muss, anstatt sich gemeinsam vorzustellen, was an die Stelle des Kapitalismus treten könnte. Es ist der Nachhall des weit verbreiteten »Bilderverbots« in der kritischen Sozialwissenschaft, also des Dogmas, keine utopischen Gegenbilder zum Kapitalismus zu zeichnen (vgl. Adamczak 2020). Dies hat nicht nur verhindert, gemeinsam konkrete Utopien zu entwickeln, sondern auch eine Orientierungs- und Strategielosigkeit in Bewegungen und Kämpfen nach sich gezogen. Ein überzeugendes sozialistisches Wirtschaftskonzept, das die gesellschaftliche Linke in einen klaren Antagonismus zu den herrschenden Verhältnissen stellt und über den Kapitalismus hinausweist, fehlt also. Wir glauben, dass die Kombination von Vergesellschaftung und demokratischer Planung den Kompass für ein antikapitalistisches Gegenprojekt und damit für eine sozialistische Ökonomie liefern kann. Die Zeit dafür ist reif.

 

Für eine Linke mit Plan

Ein zeitgemäßes Verständnis von Wirtschaftsplanung müsste diese konkrete Zukunftsvision mit Antworten darauf verbinden, wie und warum sich das alltägliche Leben der heterogenen Arbeiter*innenklasse dadurch verbessern würde: ihre Arbeitsbedingungen, ihre Gesundheits-, Wohnungs- und Energieversorgung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie etc. Es geht um ein linkes Verständnis von Bedürfnissen und Bedürfnisbefriedigung, das nicht nur auf die Warenproduktion fokussiert und das planetare Grenzen anerkennt. Solche Vorstellungen kann niemand allein entwickeln, wir müssen unsere Programmatik als gesellschaftliche Linke kollektiv und im kritisch-solidarischen Austausch voranbringenBegriff und Programm demokratischer Wirtschaftsplanung, die in der politischen Auseinandersetzung bestehen will, müssen zudem aus der Arbeit und Intervention in politische Praxis entstehen und sich von dieser befragen lassen.

Daher rufen wir alle Mitstreiter*innen, Genoss*innen, Bekannte und Freund*innen dazu auf, sich im Laufe dieses Jahres verstärkt mit Fragen demokratischer Wirtschaftsplanung auseinanderzusetzen und Beiträge zur Planungsdebatte einzubringen.1 Lasst uns Wirtschaftsplanung als Forderung und Zielbestimmung der sozialistischen Bewegungen neu entdecken und zum Thema einer breiteren Debatte machen. Wenden wir uns verstärkt Modellen und Ideen einer sozialistischen Wirtschaftsplanung zu. Trauen wir uns noch mehr, eine grundlegend andere, eine befreite Gesellschaft zu entwerfen, und legen wir dafür ein überzeugendes sozialistisches Wirtschaftsmodell vor, das Antworten auch auf die großen Fragen gibt.