Es ist nun bewiesen, daß eine überzen­tralisierte oder gar totale Planung […] weder sinnvoll noch planerisch und verwaltungstechnisch beherrschbar [ist], auch nicht mit der besten Computertechnik.« Dies schrieb 1999 kein antikommunistischer Liberaler, sondern Gerhard Schürer (1999, 81), der immerhin 25 Jahre Vorsitzender der obersten Planungskommission der DDR und Politbüro-Mitglied war. Verlangen wir eine demokratische Planwirtschaft für das 21. Jahrhundert, müssen wir das 20. Jahrhundert sehr ernst nehmen, denn hier verkehrte sich der sozialistische Traum in einen autoritären Albtraum. Die moderne Planungsdebatte antwortet auf die Fehler des 20. Jahrhunderts. Dabei lohnt es, zwei zen­trale Problemfelder genauer zu betrachten: die Anreizstruktur der realexistierenden Plan­wirtschaft und die Frage der Recheneinheit.

Das Problem der ›Anreize‹

Liberalen gilt die Planwirtschaft als völlig ineffizient. Dies wird vor allem auf fehlende oder falsche Anreize zurückgeführt. Betriebe und Arbeiter*innen würden kaum für Leistung und Innovation belohnt, stattdessen würden Faulheit und Ineffizienz toleriert oder gar befördert. Das Konzept der Anreize wird meist von neoklassischen Ökonom*innen verwendet, doch es stellt eine relevante Frage: Welches Handeln wird Individuen, Betrieben, staatlichen Akteuren etc. in Gesellschaften nahegelegt? Heute zeigt der Blick auf die Erschöpfung von Mensch und Natur immer klarer, dass Arbeitseffizienz nicht der einzige oder gar vornehmliche Maßstab einer bedürfnisorientierten Wirtschaft sein kann.

Zu Beginn war die Planwirtschaft trotz all ihrer politischen Gräuel ökonomisch nur eingeschränkt ineffizient. In der Phase »extensiver« Entwicklung, in der Regierungen das Ziel verfolgten, mehr Menschen und Ressourcen in die Produktion einzubinden, erreichten die realsozialistischen Planwirtschaften vielfach beeindruckende Wachstumszahlen. Erst im Zeitalter »intensiver« Entwicklung, die auf technologische Innovation abzielte, zeigten sich die Grenzen der Kommandowirtschaft. Diese beendete Marktkonkurrenz und Konkursdrohung. Aber ohne die Peitschen des Marktes verfolgten die Betriebe, ihre Belegschaften und Direktor*innen ihre tauschwertorientierten Interessen rücksichtloser, lieferten mangelhafte Produkte zu spät, schöpften ihre Kapazitäten nicht aus und täuschten die Planungsinstanzen über ihre Leistungsfähigkeit. In diesem Versteckspiel zwischen Betrieb und Zentrale versuchten die Betriebe, »weiche Pläne« durchzusetzen, die keine Höchstleistungen erforderten, um Planerfüllung und Prämien zu sichern. Das Gegeneinander von Staat und Betrieb und die politisch über Pläne vermittelte Konkurrenz um Vorprodukte oder Arbeitskräfte ersetzten die Marktkonkurrenz.

Während der Markt die Arbeiter*innen durch Lohnhierarchie und drohende Arbeitslosigkeit diszipliniert, sicherte die Kommandowirtschaft Arbeitsplätze und sorgte für größere Einkommensgleichheit. Aber die Arbeiter*innen reagierten keineswegs mit aufrechter sozialistischer Arbeitsdisziplin. Denn ihre Arbeit blieb erkauft, wurde nicht aus Überzeugung getan. So beschwerte sich der Professor für Marxismus-Leninismus Erich Hanke: »Es ist üblich geworden, daß viele Bauarbeiter in der Arbeitszeit auf den Straßen umherlaufen und Einkäufe tätigen. Es ist üblich geworden, die Arbeitspausen in den Bauwagen stundenlang (!) auszudehnen.« Er empfahl: »Bei der Ausarbeitung entsprechender Methoden sollten wir uns stärker auf bewährte Verfahrensweisen kapitalistischer Unternehmer besinnen.« (Zit. nach Vollmer 1999, 369f) Nach 40 Jahren DDR also die Schlussfolgerung: zu wenig Kapitalismus, zu wenig Markt?

»Die Kommandowirtschaften waren politisch autoritär, aber ökonomisch sanft, und das brach ihnen in der Blockkonkurrenz das Genick.«

Hanke hatte nicht einfach den Sozialismus verraten, sondern wie alle Sozialist*innen tat er sich schwer, mit einem fundamentalen Gegensatz umzugehen: Die Minderung der Konkurrenz ist insbesondere für Arbei­ter*innen sozialistisch, sie ist aber – behält der Sozialismus die Lohnarbeit bei – zugleich ineffizient. Sie vermindert Ausbeutung und vermeidet Burn-out, aber erlaubt auch Betrug, Arbeitsverweigerung und Laxheit. 

Neuere Modelle der Planwirtschaft haben vor allem zwei Antworten auf diese Problematik gefunden: abgeschwächte Betriebskonkurrenz und betriebliche Autonomie sowie Abschaffung der Lohnarbeit.

Abgeschwächte Betriebskonkurrenz und betriebliche Autonomie

Neuere Modelle verzichten weiter auf (das Zuckerbrot und) die Peitsche bei Arbeiter*innen, aber stärken mit einer abgeschwächten Konkurrenz Innovations- und Effizienzanreize für die Betriebe. So mischt der Reformsozialist Pat Devine (1991) in seinem Modell »Negotiated Coordination« Markt- und Planwirtschaft. Einerseits handeln die Betriebe relativ selbstständig: Sie entscheiden, von wem sie Vorprodukte kaufen und wie sie produzieren, und sie legen die Preise für ihre Produkte fest. So konkurrieren sie um Absatzmärkte und Produkte und haben Anreize, die Produktivität zu steigern und besser zu wirtschaften. Die Konkurrenz aktiviert das dezentralisierte »taktische Wissen« der Betriebe, das nicht aufgeschrieben oder übermittelt werden kann und von Marktbefürwortern wie Hayek gegen die Zentralwirtschaft starkgemacht wurde. Gleichzeitig schlägt die Konkurrenz nicht hart und unkontrolliert durch. Nicht der Markt verteilt das Geld, sondern »Negotiated Coordination Bodies«. Diese Gremien entscheiden auf der Grundlage ausgewählter Informationen (Bilanzen, Innovationspläne und ökologische Performance der Betriebe) und eigenen Wissens, welche Betriebe schrumpfen und welche wachsen sollen. Der Markt produziert zwar die stumpfe monetäre Information, ob ein Betrieb gut oder schlecht läuft. Die Gremien berücksichtigen weitere Faktoren wie Ökologie, Arbeitszufriedenheit und lokale Bedingungen und vermitteln so die Konkurrenz politisch. 

Devine betont in seinem Modell verständlicherweise nicht die Kraft der Konkurrenz, sondern spricht meist über die Autonomie der Betriebe, die es ihnen erlaubt, ökonomisch – und hoffentlich ökologisch und sozial – effizient zu handeln. Doch Autonomie besaßen die Betriebe im Realsozialismus auch, für viele Kritiker*innen viel zu viel. Die Frage ist, welche Anreize in diesem Autonomieraum wirken. Sie entscheiden darüber, ob die Betriebe ihre Autonomie nutzen, um ökologisch und aufwandseffizient zu produzieren oder um, wie im Realsozialismus völlig rational, Arbeitskräfte zu horten und moderate Planvorgaben zu erreichen.

Abschaffung der Lohnarbeit

Andere Sozialist*innen erklären das Anreizproblem der realsozialistischen Planwirtschaft weniger aus dem Fehlen von Konkurrenz, Dezentralität und/oder Autonomie, sondern aus ihrer kapitalistischen Grundstruktur. Denn der zentrale Anreiz zu arbeiten blieb weiterhin der Lohn. Da Arbeit folglich für die Arbeiter*innen vor allem ein Tauschgeschäft war – Arbeitskraft gegen Lohn – versuchten sie in völlig rationaler Weise, den Tauschwert zu steigern (hohe Löhne, Betriebe mit guten [Ferien-]Wohnungen etc.) und ihren Aufwand zu minimieren (geringe Planvorgaben, Arbeitsvermeidung etc.). Der Gebrauchswert ihrer Arbeit, also etwa gute Produktqualität, Innovation, Ökologie oder fristgerechte Lieferung, waren zweitrangig. Sicherlich befriedigten sie ihre produktiven Bedürfnisse mit der Herstellung hochwertiger Trabis und kuschliger Teddybären, aber geriet der Gebrauchs- mit dem Tauschwert in Widerspruch, dann war der Letztere, eine entspannte Arbeitswoche, doch wichtiger als eine fristgerechte Lieferung – besonders, wenn andere Betriebe Fristen wieder nicht eingehalten hatten. So widersprechen sich in der lohnbasierten Planwirtschaft Individual- und Gesamtinteresse fundamental. Der Realsozialismus war nur eine kapitalistische Planwirtschaft und besetzte den Staatspol des kapitalistischen Markt-Staat-Kontinuums.

Neuere Modelle wie der »Cybersozialismus« oder »Negotiated Coordination« sind Teil dieses Kontinuums. Sie vertreten eine reformistische Perspektive und wollen die Probleme der realsozialistischen Planwirtschaft mit (etwas) Markt, neuen (Informations-)Technologien und Demokratie lösen. Der kapitalistische Charakter des Systems bleibt jedoch erhalten (vgl. Sutterlütti 2023; Kurz 1991; Stahlmann 1990). Dass die Probleme wesentlich tiefer liegen, argumentiert eine wertkritische bzw. wertformanalytische Kritik. Will eine Planwirtschaft die Herrschaft des Tauschwerts brechen, muss sie diesem Ansatz zufolge Arbeit und Konsum individuell entkoppeln und damit die Lohnarbeit abschaffen. Erst wenn der Lohn und damit der Tauschwert nicht mehr das Handeln der Arbeiter*innen bestimmen würden, wäre die Form, die Arbeit im Kapitalismus annimmt, die abstrakte (Lohn-)Arbeit, gebrochen. Entscheiden sich Menschen freiwillig für eine Tätigkeit, ist ihr primärer Anreiz dann die Produktion von Gebrauchswert. Es stellt sich dann nur noch die Frage: »Welche Ziele priorisieren wir in unserer Re-Produktion?«, und nicht: »Mit welchen Anreizen kriegen wir Arbeiter*innen und Betriebe dazu, trotz ihres Tauschwertfokus auf Gebrauchswert zu fokussieren?« In so einer Gesellschaft stellt sich natürlich die Frage, wer die Müllabfuhr erledigt (Sutterlütti/Meretz 2018; siehe Demirović in diesem Heft), und Freiwilligkeit schafft die Gefahr einer ungerechten Verteilung der Arbeit (Lutosch 2022). Auch bleiben Interessenwidersprüche, etwa zwischen Muße und Output- und Kon­sumsteigerung erhalten, doch sie bilden keinen Gegensatz mehr.

Vertreter*innen einer lohnbasierten Planwirtschaft werfen dieser Strömung Utopismus vor – Laibman nennt sie »Hurra-Sozialisten« (Laibman 2022). Sie würden die notwendige »erste Phase« des Kommunismus überspringen, wo die »Muttermale« der alten Gesellschaft (Marx) noch erhalten bleiben. Gesellschaft und Menschen seien dafür nicht bereit. In der ersten Phase könnten Arbeit und Konsum durch öffentliche Versorgung und bedingungsloses Grundeinkommen etwas entkoppelt werden, aber die Transformation von Arbeit und Gesellschaft brauche Zeit und Ressourcen. 

Vernünftig rechnen, aber wie? 

Eine Planwirtschaft muss rechnen. Während der Markt alle Entscheidungen auf die Frage »Wirft das Profit ab?« reduziert, muss eine Planwirtschaft Güter, Betriebe und Produktionsketten anhand vieler Maßstäbe wie Arbeitszufriedenheit, Demokratisierungspotenziale, Arbeits-, Energie- und Ressourceneffizienz bewerten und vergleichen. Aber braucht man dafür eine zentrale Rechnungseinheit oder wäre eine Vielzahl von Plangrößen besser? Kann eine zentrale Planfunktion wie ein Algorithmus wichtige Entscheidungen treffen oder bedarf es einer politischen Aushandlung auf der Grundlage vieler Größen?

»Eine Produktionsmethode kann sehr zeiteffizient sein, aber ökologisch zerstörerisch.«

Die meisten neuen Modelle halten wie der Realsozialismus an einer zentralen Recheneinheit fest. Nur so könne man Produktionsmethoden und Betriebe direkt vergleichen und die Planung optimieren. Und nur auf dieser Basis könnten Betriebe entscheiden, ob Aluminium oder Stahl sinnvoller (weil günstiger) ist, oder Konsument*innen, ob sie ihr bedingungsloses Einkommen (oder ihren Lohn) lieber fürs Biertrinken oder den Kauf eines Computers ausgeben. Doch so optimiert eine Planwirtschaft nach einem einzelnen Maßstab: Sie bevorzugt Güter, Betriebe und Produktionsmethoden, die zum Beispiel weniger Arbeitszeit benötigen. Damit ist sie etwas schlauer als die Marktwirtschaft, die nur nach monetären Kosten optimiert, aber was ist mit Ökologie, Arbeitszufriedenheit und Demokratie? Eine Produktionsmethode kann sehr zeiteffizient sein, aber ökologisch zerstörerisch, hierarchisch und körperlich anstrengend oder gar gefährlich. Eine demokratische Gesellschaft sollte hier klüger sein. Deshalb beziehen etwa Cockshott u. a. (2022, 155ff) in ihrem neuen Modell CO2-Emissionen in die zentrale Recheneinheit ein. Güter mit hohen CO2-Emissionen werden je nach Emissionsbudget teurer und die Nachfrage fällt.

Das reicht den Kritiker*innen einer zentralen Rechengröße nicht. Schon in den 1920er-Jahren argumentierte Otto Neurath gegen die Neoliberalen Mises und Hayek sowie die Marktsozialisten Lange und Lerner, dass eine zentrale Recheneinheit ebenso »pseudorational« sei wie der Maßstab des Maximalprofits (1919, 145). Er argumentiert für eine »Naturalrechnung«, die mit »in natura« Größen plant wie Weizen, Aluminium, Landnutzung, Schuhbedarf. Darauf bauen Vettese und Pendergrass (2022) ihr Modell des »Half-Earth Socialism« auf. Es stellt die ökologische Frage ins Zentrum und will im Namen von Biodiversität und Pandemieprävention die Hälfte des Planeten der Natur überlassen. Ein Planbüro – für das die Autoren einen ersten Algorithmus entworfen haben – soll verschiedenste Zentralpläne in Naturalgrößen entwerfen: etwa Plan 1 mit 2 000 Watt Energiebedarf pro Person, 2°C Erwärmung und 50 Prozent Verwilderung. Er würde kompletten Veganismus erfordern, um die Landnutzung zu reduzieren, aber auch einen massiven Ausbau von Biotreibstoffen auf mehr als 35 Prozent der Erdoberfläche, was dem »Half-Earth«-Ziel zuwiderläuft. Darum halbiert Plan 2 durch strikte Einschränkung von Privatautos und unnötiger Industrieproduktion die Nachfrage nach (Bio-)Treibstoffen, damit sie nur noch 20 Prozent der Flächen erfordern (ebd., 107ff). Beide Pläne legen die In-natura-Tradeoffs etwa zwischen Landnutzung, Mobilität, Ernährung, Energie offen und stehen für unterschiedliche Ziele, deren Gewichtung eine komplexe und zutiefst politische Angelegenheit ist. So zu tun, als gäbe es ein einfaches technisches Optimum, ist technokratisch. Darum entscheidet im Modell des »Half-Earth Socialism« ein Weltparlament – es könnte auch ein Welträtekongress oder Referendum sein.

Für Befürworter*innen einer zentralen Rechnungseinheit steht die Optimierungsfrage im Vordergrund, für Befürworher*innen der Naturalrechnung sind es Komplexität und Informationsvielfalt. Kritiker*innen der Naturalrechnung sehen hier eine Quelle von ewigen politischen Aushandlungen, ob nun das Konsumgut oder die Produktionsmethode besser ist. Sie befürchten das Problem der »too many meetings«: dass Menschen in einer demokratischen Gesellschaft einen guten Teil ihrer Zeit in Planungsprozessen verbringen müssten. Hier kann Devines Modell vielleicht eine Hilfe sein. Es trennt die alltägliche Re-Produktion von Investitionsentscheidungen. Über die alltägliche Re-Produktion kann von Zahlen geleitet entschieden werden und die Prozesse können entsprechend parametrisiert sein. Eine ökologische Planung verlangt In-natura-Ziele für Land, Emissionen oder Energie – auch im Modell von Cockshott u. a. Vielleicht wäre es möglich, in einer demokratischen Planwirtschaft zu unterscheiden zwischen der kurzfristigen Alltagsplanung mit zentralen Recheneinheiten und der mittelfristigen Zielplanung in natura mit einer Vielzahl von Plangrößen, und so beide Modelle zu verbinden. Ob das wirklich geht und sinnvoll ist, müssen weitere Diskussionen und schlussendlich die Praxis zeigen. Klar ist: Der Suchprozess muss weitergehen. Denn ohne konkrete Pläne kann die Linke keine glaubwürdige und wünschbare Alternative zum Kapitalismus anbieten.

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