Wenig symbolisiert das hinter uns liegende Zeitalter der unangefochtenen Globalisierung und des hegemonialen Neoliberalismus treffender als das von Francis Fukuyama ausgerufene »Ende der Geschichte«. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR prognostizierte der US-amerikanische Politikwissenschaftler bekanntermaßen den globalen und letztgültigen Siegeszug des westlichen Liberalismus und der freien Marktwirtschaft (Fukuyama 1989). Geschichte hörte 1989 natürlich nicht auf. Dennoch lässt sich eine im Rückblick beachtlich lang andauernde Phase der Hegemonie des neoliberalen Globalisierungsversprechens innerhalb der (alten) kapitalistischen Zentren konstatieren, die mit Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 endete.

Zukünftige Historiker*innen werden die Zeit seit 2008, wie Ingar Solty (2023) es ausdrückte, als »einzige, schwelende Krise« begreifen. Es handelt sich Antonio Gramsci folgend um eine organische Krise – um eine Übergangszeit, in der die etablierten politischen Kräfte die Krise mit ihren gewohnten Mitteln nicht in den Griff bekommen, alternative politische Kräfte jedoch noch zu schwach sind, um sich durchzusetzen. Diese Zeit ist – oder vielmehr: sie war – keine »offene« historische Situation, auch wenn Ereignisse wie der Wahlsieg der griechischen Syriza im Januar 2015 oder Donald Trumps Wahlerfolg im November 2016 vielen Zeitgenoss*innen als historische Brüche erschienen. Im Gegenteil: Weil die Institutionen der neoliberalen Epoche noch fortwirkten, waren tiefgreifenden politischen Veränderungen Grenzen gesetzt.

Begreifen wir die Krise seit 2008 als vierte große Krise des Kapitalismus, die auf die großen Krisen nach 1873, 1929 und 1973 folgt und wie diese einen jahrzehntelangen Prozess der Transformation in Gang setzt, lässt sich die Zeit von 2008 bis 2020 als erste Phase dieser Krise deuten: als Zeit des Interregnums, in der sich gesellschaftliche Umbrüche zwar andeuten, jedoch noch nicht durchsetzen (Decker/Sablowski 2017). Mit der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und den zunehmenden Konflikten mit China kündigt sich eine neue Phase der Krise an: die Zeit der beschleunigten Transformation. Diese zweite Phase zeichnet sich durch die wechselseitige Durchdringung und Verstärkung der verschiedenen Krisendimensionen sowie durch eine allgemeine Beschleunigung der Krise aus. Sie ist gekennzeichnet durch die zunehmende Materialisierung der Klimakatastrophe auch im Globalen Norden und die unumkehrbare Überschreitung planetarer Kipppunkte. Auch vor dem Hintergrund von zur Neige gehender fossiler Energie und Rohstoffe zeichnen sich verstärkte geopolitische Konflikte und Blockbildungsprozesse ab, die wiederum die ökonomische Krise der Globalisierung und die politische Krise der liberalen Demokratie vorantreiben.

Paradigmenwechsel und Zeitenwende

Die Phase der beschleunigten Transformation schlägt sich in einem wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel nieder, der jedoch im Rahmen des kapitalistischen Systems verbleibt. Während der Corona-Pandemie wurden umfassende Soforthilfen und Konjunkturpakete auf den Weg gebracht, Deutschland akzeptierte sogar eine einmalige gemeinsame Verschuldung als Grundlage für den EU-Wiederaufbaufonds. Spätestens mit den beiden im August 2022 verabschiedeten US-Gesetzen »Inflation Reduction Act« und »Chips and Science Act« trat eine neue Industriepolitik in Erscheinung. Sie zielt darauf, Batterietechnik, Wasserstoff- und Halbleiterstrukturen innerhalb der USA durch massive Investitionsanreize zu fördern und zugleich die Chipproduktion in China zu schwächen. Die EU zog im Frühjahr 2023 mit ihrem »Industrial Plan« und einem eigenen »Chips Act« nach. Der wirtschaftspolitische Thinktank Forum for a New Economy sprach daher im Januar 2023 in einer Studie von einem »sozio-ökonomischen Paradigmenwechsel« (Fricke u. a. 2023). Diese Bezeichnung ist fragwürdig, schließlich geht es nicht um weitreichende soziale Umverteilung zur Finanzierung einer sozial-ökologischen Transformation, sondern um eine neue Subventionspolitik für Industriezweige, die eine hervorgehobene Rolle in der geopolitischen und ökonomischen Konkurrenz spielen. Eine Politik der »inneren Abwertung«, die Subventionen für Unternehmen mit Sparpolitik für die Mehrheit kombiniert, ist damit kompatibel und zeichnet sich bereits ab.

Die Frage, ob der Neoliberalismus nun am Ende ist oder von seinen »neun Leben«, die ihm nach Ausbruch der Finanzkrise bescheinigt wurden (Peck 2010, 277), weiterlebt, ist in gewisser Weise überholt. Staatliche Wirtschaftspolitik als konkrete Form der Absicherung und gesellschaftlichen Vermittlung der Kapitalakkumulation ist fortdauerndem Anpassungsdruck ausgesetzt. So werden bestimmte Elemente des Neoliberalismus über Bord geworfen, andere können unter geänderten Vorzeichen fortbestehen – ganz nach dem Motto »Neue Segel, alter Kurs« (Bieling/Guntrum 2019). Der von der deutschen Bundesregierung in Stellung gebrachte Begriff der »Zeitenwende« versinnbildlicht das: Der von links lang ersehnte politische Stimmungswandel nach Jahrzehnten des Neoliberalismus ist kein sozial-ökologisches Projekt, sondern läutet eine neue Phase der militärischen Aufrüstung und postneoliberalen Standortpolitik ein. Ähnlich wie bei der rot-grün geführten Regierung ab 1998, die die Vermögensteuer aussetzte und die Agenda 2010 einführte, entspricht auch die heutige Politik im Wesentlichen den Interessen der dominanten Kapitalfraktionen. Ging es damals darum, Investitions- und Handelshemmnisse aus dem Weg zu räumen, geht es heute um Subventionspolitik für spezifische Sektoren. Dass hierbei massive Konflikte mit den Institutionen des Neoliberalismus – allen voran der Schuldenbremse – zutage treten, unterstreicht den dynamischen Charakter der neuen Entwicklungsphase der Krise.

Kapitalistische und postkapitalistische Planung

Der Begriff der ökonomischen Planung, der aus linken Debatten weitgehend verschwunden ist, hilft dabei, die tiefere Bedeutung der neuen Krisenphase und ihrer Implikationen für linke Politik zu verstehen. Die »staatsinterventionistische Wende« (Abels/Bieling 2022, 208), die die beschleunigte Transformation des Kapitalismus zugleich vorantreibt und auf sie reagiert, lässt sich als Weiterentwicklung kapitalistischer Planung verstehen. Diese setzt private Investitionsentscheidungen und die grundlegende Funktionsweise von Märkten nicht außer Kraft, sondern baut auf diesen auf. Wenn ein Staat Geld in die Hand nimmt, um etwa die Errichtung von Halbleiterfabriken zu fördern, werden bestehende Kapitale für spezifische Investitionsvorhaben unterstützt, die mit ihren veränderten Produktionsstrukturen wiederum auf bestehenden Märkten agieren. Auch bei extremen Formen kapitalistischer Planung – wie etwa der britischen Kriegsökonomie, auf die sich Ulrike Herrmann in ihrem Buch »Das Ende des Kapitalismus« (2023) bezieht – werden private Investitionsentscheidungen nicht außer Kraft gesetzt. Die Wirtschaft wird jedoch durch politische Planungsmechanismen, eingebettet in wirkmächtige gesellschaftliche Narrative, stark gelenkt.

Die staatliche Beeinflussung oder gar Lenkung der Ökonomie ist ein widersprüchliches Unterfangen. Unter der Dominanz der kapitalistischen Produktionsweise ergibt sich das ökonomische Geschehen als Summe unzähliger isolierter Investitionsentscheidungen in einem System getrennter Privatproduktion bei gleichzeitiger allseitiger Abhängigkeit. Gesellschaftliche Vermittlung findet erst im Nachhinein auf Märkten statt, auf denen sich zeigt, ob Güter gekauft und Kredite zurückgezahlt werden können. Ein System getrennter Privatproduktion kann nicht ohne Weiteres auf die Erreichung gesamtgesellschaftlicher Ziele »umschalten«, sondern bleibt der privaten Verfügung über Investitionsmittel und nichtintendierten Marktkräften unterworfen.

Ein weiterer Widerspruch der kapitalistischen Planung liegt darin begründet, dass effiziente staatliche Planung eine »relative Autonomie« der Staatsapparate von den Inte­ressen der privaten Planung der Unternehmen voraussetzt. Der für die private kapitalistische Planung so wichtige stabile Rahmen, den der Staat durch die Vermittlung verschiedener Kapitalinteressen und Kompromisse mit den Lohnabhängigen bereitstellt, wäre durch eine unmittelbar mit Kapitalinteressen verbundene und damit notwendigerweise volatile und konfliktbeladene politische Struktur nicht denkbar. Ein Staat, der von unmittelbaren Interessen der Unternehmen unabhängig ist, wäre möglicherweise jedoch auch stark genug, um zumindest zeitweise eine Politik gegen Kapitalinteressen oder dominante Kapitalfraktionen durchzusetzen (Sorg i. E.).

In der Zunahme der kapitalistischen Planung in der Phase der beschleunigten Transformation nur eine autoritäre Gefahr zu sehen (die zweifelsfrei besteht) und dabei die Widersprüche und Risiken auszublenden, in die sich die herrschende Politik hierbei begibt, greift zu kurz. Mit der Ausweitung öffentlicher Planung im Kapitalismus intensivieren sich seine inneren Widersprüche. So stellt sich die Frage, weshalb Unternehmen noch im privaten Besitz bleiben sollen, wenn ihre Investitionsmittel zunehmend öffentlich bereitgestellt und politisch zweckbestimmt werden. Je stärker der Anspruch auf politische Steuerbarkeit der Ökonomie (etwa zur Förderung von Rüstungsproduktion und »grünen Technologien«) erhoben wird, desto stärker rückt die Frage um das gesellschaftliche Ziel der Ökonomie in den Blick. Und je mehr Anspruch und Wirklichkeit kapitalistischer Planung angesichts der strukturellen Grenzen der Steuerbarkeit im Kapitalismus auseinanderklaffen, desto eher werden postkapitalistische Formen ökonomischer Planung diskutierbar. Der keynesianische Interventionsstaat der Nachkriegszeit war ein Ergebnis der gesellschaftlichen Erfahrung der Steuerbarkeit der Ökonomie in Kriegszeiten. Diese weit verbreitete Politisierung, teils auch Infragestellung des Kapitalismus wieder zurückzudrehen, hat das Kapital viele Jahrzehnte in Anspruch genommen.

Demokratische Planung als Projekt einer neuen Linken 

In der zunehmenden Krisenhaftigkeit der Verhältnisse zuallererst eine Chance für progressive Kräfte zu sehen, wäre jedoch verkehrt. Wie Bruno Latour und Nikolaj Schultz es in ihrem Buch »Zur Entstehung einer ökologischen Klasse« (2022, 35) ausdrücken: »Nichts wird uns retten, und ganz bestimmt nicht die Gefahr.« Ein progressives Projekt, das Formen von sozial-ökologischer Planung im Kapitalismus vertieft und zeitgleich Formen von postkapitalistischer Planung entwickelt, ist zwar möglich. Es ist jedoch von konkreten Kräfteverhältnissen abhängig und kommt an den fundamentalen Problemen linker Transformationsstrategien nicht vorbei. Die Herausbildung einer mehr oder minder autoritären Variante kapitalistischer öffentlicher Planung, die den nationalen Wirtschaftsstandort absichert und die heimischen Produktions- und Konsumnormen nach außen verteidigt, ist hingegen naheliegend und zeichnet sich bereits ab. Die gesellschaftliche Linke hat nach Jahrzehnten der Entpolitisierung und Desorganisierung kaum Machthebel, um alternative Formen der Planung hegemonial werden zu lassen.

Es wird daher weiterhin darum gehen, in die gesellschaftlichen Konflikte um steigende Preise, soziale (Um-)Verteilung und industri­ellen Umbau, Energie-, Wasser- und Nahrungsmittelknappheit, Aufrüstung, Krieg und autoritäre Tendenzen zu intervenieren. 

Es ist unklar, wie lange die neue Krisenphase der beschleunigten Transformation andauern wird und ob eine dritte Phase der Stabilisierung in den nächsten Jahrzehnten überhaupt realistisch ist. Die beschleunigte Transformation wird sehr wahrscheinlich neue Formen der Politisierung und Massenpolitik hervorbringen. Eine internationalistische Perspektive der demokratischen Wirtschaftsplanung, die eine realistische Möglichkeit aufzeigt, die Klimakatastrophe abzuschwächen, dabei die Gesellschaft und die internationale Ordnung gerechter zu machen und zugleich die Demokratie auf eine neue Stufe zu heben, ist in dieser Krisenphase nicht völlig chancenlos. Sie kann vor dem Hintergrund eskalierender Geopolitik und der Klimakatastrophe konkrete Schritte benennen, um Preise und Investitionen zu stabilisieren und zu lenken, um Unternehmen und Sektoren zu vergesellschaften und umzubauen und um den Horizont einer demokratisch koordinierten Ökonomie aufzuspannen, die in eine internationalistische Perspektive des »klima- und industriepolitischen Multilateralismus und Technologietransfers« (Solty 2023, 44) eingebettet ist.

Die Perspektive der demokratischen Wirtschaftsplanung zeigt konkrete wirtschaftspolitische Alternativen auf (etwa Investitionslenkung und Industriekonversion), verbindet sie mit einer alternativen Systemlogik (vorausschauende makroökonomische Koordination statt blindem Wettbewerb) und setzt an den mittelfristigen materiellen Interessen der Menschen an. Sie ist eine Alternative zur kurzsichtigen grün-kapitalistischen Modernisierungsstrategie, die versucht, die bestehende Industriestruktur etwa im Automobilsektor mit Modifikationen zu erhalten, und sich damit mittelfristig in eine Sackgasse manövriert. Demgegenüber stellt eine Perspektive der demokratisch geplanten Transformation die langfristige materielle Sicherheit der Menschen in den Mittelpunkt – sodass öffentliche Infrastrukturen, sinnvolle Arbeit und materielle Versorgung auch in 30 bis 40 Jahren noch zur Verfügung stehen könnten.

Der Planungsdiskurs steht dabei erst am Anfang und muss sich noch weiterentwickeln. Es fehlen konkrete Konzepte radikaler Reformpolitik als Einstieg in eine demokratische Wirtschaftsplanung ebenso wie empirische Modellierungen lokaler, nationaler und internationaler Planung. Und doch zeigt der Planungsdiskurs eine Richtung auf, eine historische Spur, der die gesellschaftliche Linke folgen kann. Das Fehlen einer ökonomischen Alternative, die demokratisch und in sich funktionsfähig erscheint, war das zentrale Manko linker Ansätze der letzten Jahrzehnte. Wir haben uns so tiefgreifend an diese Leerstelle und an diesen Zustand am »Ende der Geschichte« gewöhnt, dass uns seine Absurdität und die ganz offensichtliche strategische Schwächung, die mit ihm einhergeht, gar nicht mehr auffallen. Der plurale und vielstimmige Diskurs um demokratische Wirtschaftsplanung, der in den letzten Jahren entstanden ist, hat das Potenzial, diese Leerstelle zu füllen.