These 1 

Wir leben in keiner offenen gesellschaftlichen Situation mehr. Die Entwicklungspfade sind umkämpft, aber viele Alternativen bereits verunmöglicht und Wege verschlossen.


These 2

Es bildet sich ein hegemonialer Entwicklungspfad heraus, der unterschiedliche Ausprägungen eines grünen Kapitalismus umfasst. Weshalb ist er hegemonial? Anders als andere gesellschaftliche Projekte hat er das Potenzial, neue Anlagefelder für das Kapital zu erschließen. Diese ermöglichen zugleich eine Bearbeitung der größten und langfristigsten (Menschheits-)Krise, der ökologischen Krise durch eine grüne Modernisierung und kann so ein tragfähiges Akkumulationsregime etablieren. Regulativ hält ein solches Projekt mit einigen mehr oder weniger ausgeprägten sozialen Ausgleichmaßnahmen einen prekären gesellschaftlichen Konsens aufrecht, nach außen und innen autoritär bewehrt, sozusagen „gepanzert mit Zwang“ (A. Gramsci). Je nach (Welt-)Region wird sich dieses Projekt unterschiedlich ausprägen, in China anders als in Deutschland oder den USA, in den Zentren kapitalistischer Macht anders als an den (Semi-)Peripherien. Wir haben es mit Varieties of Green Capitalism, mit unterschiedlichen Ausprägungen eines grünen Kapitalismus zu tun. Am deutlichsten findet sich dieser grüne Kapitalismus als ausgeprägtes Akkumulationsregime in China, seit dem sogenannten Green Deal allerdings auch mehr und mehr in der EU.


These 3

Diese Entwicklung wird überlagert von einer neuen Blockkonfrontation. Sie ordnet sich weniger entlang der Linie Demokratie vs. Autoritarismus, sondern ist geprägt von der harten Konkurrenz um die globale Führung in der neuen Entwicklungsperiode hin zu einem hochtechnologischen und aufgerüsteten grünen Kapitalismus. Im Wesentlichen sortiert sich das Feld zwischen China und den USA, mit Europa in einer problematischen Zwischenposition als subalterner US/NATO-Partner und eigenständiger Akteur. Die Folgen sind weitreichend: eine hochtechnologische Konkurrenz, Handelskriege, eine partielle Deglobalisierung, eine dramatische Aufrüstung und schließlich gewaltförmige Konflikte und Kriege an den Rändern der „Green Empires“ bzw. an den tektonischen Berührungspunkten der Blöcke. Zugleich wird dadurch die Klima- und Umweltkrise verschärft. Es werden stoffliche, finanzielle und andere gesellschaftliche Ressourcen verschleudert, die für den Umbau dringend nötig wären und nicht zuletzt Menschenleben aufs Spiel gesetzt. 


These 4

Dieses hegemoniale Projekt der unterschiedlichen Formen eines grünen Kapitalismus wird bereits jetzt herausgefordert: von der Konvergenz eines radikalisierten Konservatismus mit der radikalen Rechten und von einer aggressiven Verteidigung der fossilistischen Lebensweise, die harte Kulturkämpfe auf allen Ebenen einschließt. Repräsentiert wird diese Allianz durch wechselnde Führungsfiguren wie Trump, Bolsonaro, Duterte, Modi, Meloni, Núñez Feijóo und andere. In Deutschland war diese Tendenz zuletzt (wieder) an den heftigen Kämpfen um die Heizungswende zu erkennen. Innergesellschaftlich markieren diese nationalistischen, rechts-autoritären Projekte den Gegenspieler zu einem grün-liberalen Projekt der Modernisierung, zumindest in Europa und den USA sowie in Lateinamerika. Sie bergen ein großes Destruktionspotenzial. Es mangelt diesen Projekten jedoch - abgesehen von einer noch extremeren Ausbeutung von Mensch und Natur[1] - an einer produktiven Perspektive: Die Aussichten auf Akkumulation jenseits eines Extreme Fossilism und die Möglichkeiten Sozial- und Klimakrisen jenseits von Zwang zu moderieren sind begrenzt. Eben deshalb erweist sich diese Internationale der Nationalen auf globaler Ebene nicht als Konkurrentin des hegemonialen Projekts. Sie ist vielmehr gezwungen sich jeweils einem regionalen Hegemon unterzuordnen (Russland unter China, Polen/Ungarn und Italien mit Meloni der EU, die UK nach dem Brexit mit den Tories sowohl unter die EU als auch unter die USA, die lateinamerikanische Rechte unter die USA etc.) – oder sie verbleiben in schwierigen Zwischenpositionen. 


These 5

Die verschärfte Polarisierung im Inneren sowie die neue globale Blockkonfrontation führen in dieser Entwicklungsperiode zu einem deutlich höheren Niveau an gesellschaftlicher und zwischenstaatlicher Gewalt. Zugleich bildet die ökologische Modernisierung zwar das Herz der ökonomischen Transformation und Akkumulation, sie erfolgt aber nur mit kapitalistischen, also wachstumsorientierten Formen und sie kommt viel zu spät. Das 1,5-Grad-Ziel, ist nicht mehr zu erreichen, um das zu erkennen braucht es keine Glaskugel. Das gilt umso mehr unter den oben genannten Bedingungen einer hochgerüsteten Blockkonfrontation und massiven inner-gesellschaftlichen Widerständen. Die Klimaziele wären selbst dann nicht zu erreichen, wenn wir morgen einen linken Green New Deal implementieren könnten.[2] Die neue Entwicklungsperiode wird also von Gewalt und Katastrophen geprägt sein. Das neue hegemoniale Projekt hat zwar seine Grenzen und Krisen, doch das bedeutet nicht, dass es nicht die nächsten 20 bis 30 Jahre dominieren kann, bis sein Potenzial ausgeschöpft ist.


These 6

Für viele Länder des globalen Südens, die über wichtige Rohstoffreserven verfügen und/oder von der Klimakrise stark betroffen sein werden, bringen die kommenden Krisen und Katastrophen externe Schocks und innere Zerfallsprozesse mit sich. Die alten kapitalistischen Zentren stellen sich darauf ein. "Die direkte (militärische) Intervention zur Befriedung und zur Herausbildung marktwirtschaftlicher, liberal-demokratischer Staaten ist gescheitert, in Somalia und Bosnien, in Afghanistan, Libyen und im Irak. Es ist das offensichtliche Ende des angeblichen »End of History« (Fukuyama). Der Markt schafft es nicht, und eine Besetzung der Märkte mit Bodentruppen steht nicht mehr an (...) Doch die Zonen der Unsicherheit müssen nicht unbedingt kontrolliert, können vielmehr eingehegt werden. Es entsteht eine Art »gated capitalism« – auch ohne funktionierende Gemeinwesen in den Zonen der Unsicherheit.“[3] Was ich hier schon 2014 beschrieb, hat sich unter den Bedingungen der neuen Blockkonfrontation verschärft. Länder, die nicht zwischen den Blöcken zerrieben und im Staatszerfall enden wollen, werden sich früher oder später einem der Blöcke zuordnen müssen. 


These 7

Katastrophen werden auch in den kapitalistischen Zentren zu heftigen Transformationskonflikten führen. Zu den Katastrophen zählen Wetterereignisse wie Überschwemmungen oder Dürren, Probleme der Ernährungssouveränität, ökonomische und soziale Krisen durch langfristige Preissteigerungen aufgrund von beschränkten Ressourcen, der Abriss und die Neuordnung von Lieferketten, die Internalisierung ökologischer Kosten in die Preise für Lebensmittel und Konsumgüter, die Kapitalvernichtung bei fossilistischen Industrien und viele weitere Entwicklungen. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass wir bereits am Beginn einer langsamen Erosion des deutschen Exportmodells stehen, mit weitreichenden ökonomischen und sozialen Folgen, die auch die Kräfteverhältnisse in der EU verändern und deren interne Zersetzungstendenzen weitertreiben würden. Noch stärker sind die Semiperipherien innerhalb der Blöcke von solchen Entwicklungen betroffen, etwa der Osten und Süden der EU, oder Mexiko am Rande der USA. 


These 8

Viele spüren in diesen Zeiten multipler Krisen und kommender Katastrophen eine Überforderung, die ihre eigene und eine gemeinsame Handlungsfähigkeit gefährdet. Viele haben das Gefühl, dass alles anders werden muss, die Dringlichkeit ist fast überwältigend. Und doch geht kaum etwas voran. Dieses „Weiter so“ erzeugt eine verallgemeinerte Unsicherheit. Alles zu ändern, ohne recht zu wissen wie, löst ebenfalls Ängste und Unsicherheit aus. Aus dieser Situation erwächst eine Sehnsucht nach Normalität, die selbst jedoch irreal geworden ist. Die Reaktion ist häufig ein Rückzug ins Private, in ein vereinzeltes Sich-Durchschlagen bis hin zu durch Überforderung bewirkten Burn-Outs und/oder Depressionen. Die Tatsache, dass es immer schwieriger wird, sich zu arrangieren, erzeugt aber auch ein Potenzial des Widerstands. Dieses kann aber nur gehoben und organisiert werden, wenn es gelingt, mögliche realisierbare Schritte mit politischem Gestaltungswillen und einer Perspektive des Systemwechsels überzeugend zu verbinden. 


These 9

Was bedeutet all das für die gesellschaftliche Linke? Sie wird nicht untergehen, aber sie wird für mindestens ein Jahrzehnt oder länger eine defensive Position einnehmen und kaum Gestaltungsraum haben. Grund dafür ist eine innergesellschaftliche Polarisierung: zwischen den Trägern einer grün-liberalen Modernisierung auf der einen Seite und den autoritären Verteidigern einer fossilistischen Lebensweise auf der anderen - bei einer gleichzeitigen Zersplitterung von etablierten Zusammenhängen und deren bizarrer Neuzusammensetzung. Diese Polarisierung lässt wenig Raum für Alternativen. Die als Zeitenwende deklarierte globale Aufrüstung und Blockkonfrontation verengen den politischen Raum schon jetzt erheblich. Die Krise der parteipolitischen Linken kann in Deutschland, wie schon in Italien zuvor, zu ihrer praktischen Vernichtung führen. Dies gilt es mit möglichst vielen Kräften zu verhindern, notfalls auch durch klare Profilbildung, die Trennungen in Kauf nimmt. Die gesellschaftliche Linke wird in jedem Fall konfrontiert sein mit drastisch schwindenden Ressourcen, mit dem Verlust an Kräften und der Gefahr der Zersplitterung.


These 10

In der krisenhaften Übergangsphase der letzten eineinhalb Jahrzehnte, die ich mit Antonio Gramsci als Interregnum bezeichne [s. Anmerkung], sind neue gesellschaftliche Konflikt- und Spaltungslinien entstanden, die quer durch alle Parteien gehen und seit 2011 zu einer permanenten Umordnung des Parteiensystems geführt haben. Zentrale Entwicklungen waren die Finanz- und dann die Schuldenkrise, die Bewegung der Geflüchteten 2015, die Pandemie, der Kulturkampf um die liberale gesellschaftliche Modernisierung mit Blick auf sexuelle Orientierung und geschlechtliche Repräsentation sowie das Aufbrechen damit verbundener Macht- und Gewaltverhältnisse, der Druck zur ökologischen Modernisierung, die mit der multikulturellen, geschlechtergerechten und ökologischen Modernisierung verbundene Empfindung, dass traditionelle Lebensweisen und Identitäten entwertet werden – und zuletzt natürlich die sogenannte Zeitenwende mit dem Krieg in der Ukraine. Die Konfliktlinien gehen quer durch die Gesellschaft und natürlich auch durch die LINKE. Seit dem Erstarken der radikalen Rechten 2015 ist es der LINKEN an keiner dieser Konfliktlinien gelungen, jeweils einen Pol in der Auseinandersetzung zu besetzen: zum einen wegen der Polarisierung durch rechte Kräfte, zum anderen, weil die Position der Partei nach außen regelmäßig durch Akteure von innen konterkariert wurde. In jedem Fall erweist sich der Versuch einer rein sozialpolitischen Vermittlung der Widersprüche als verkürzt.

Ursächlich für die Krise der Partei war auch, dass politische Konfliktlinien und Widersprüche sich mit Fragen innerparteilicher Macht und dem Kampf um Ämter und Posten verwickelten. Das erklärt zum Teil, weshalb viele der Konflikte in den letzten Jahren mit solcher Heftigkeit ausgetragen wurden. Es geht um eine Neuordnung des Parteiensystems, sowohl zwischen den Parteien wie auch in ihrem Inneren. Besonders zugespitzt trifft es jene, bei denen der reale Wille zur Macht angesichts von schlechten Wahlergebnissen und Umfragen nicht mehr als Kitt zwischen den Strömungen und Flügeln wirkt. Dann schlägt die mediale Dynamik zu, die eben solche Differenzen zu mächtigen Gegensätzen werden lässt, in denen Einzelne sich gegen die Partei profilieren und Zentrifugalkräfte die Partei auseinandertreiben. Der anti-neoliberale Konsens, der die LINKE lange geeint hat, zerfasert von den Rändern her: in Richtung eines sozial- oder linkskonservativen Projekts auf der einen und in ein (transatlantisch) sozialliberales Projekt auf der anderen. Die tragende Mitte dazwischen wird zerrieben. Die damit einhergehende Kultur der permanenten Kritik, des Schlechtredens aus der Partei selbst heraus, wirkt wie eine selbsterfüllende Prophezeiung: Sympathisant*innen werden verunsichert und abgestoßen, Mitglieder demotiviert und frustriert (seit der Bundestagswahl sind rund 8 000 Mitglieder aus der Partei ausgetreten). Dies arbeitet den Gegner*innen einer in den Parlamenten verankerten linken und sozialistischen Partei zu. Gegenwärtig gibt es einige, die den Moment gekommen sehen, um die LINKE endgültig zu zerstören.


These 11

Die gesellschaftliche Marginalisierung der Linken wird angesichts von sehr beschränkten Mitteln zur Förderung des sozialen Zusammenhalts, angesichts von zunehmenden Gewaltverhältnissen und einem Leben mit der Katastrophe zur Überlebensfrage. Was sind strategische Antworten darauf? In welchen Strukturen organisieren wir uns, wie können effektive Zentren regionaler Stärke, Inseln des Überlebens und der Sorge umeinander erschaffen werden, die den Raum für eine demokratische und solidarische Lebensweise, für eine sozialistische Perspektive in Zeiten eines Post-Growth offenhalten? Es braucht Organisationen, in denen es möglich ist, Veränderung selbst in die Hand zu nehmen, oft im Kleinen, aber mit Blick auf das Ganze. Solidaritätsinitiativen können wichtige Ausgangspunkte dafür sein. Die LINKE arbeitet an Modellprojekten für die Organisierung in sozialen Brennpunkten, an einer aufsuchenden Parteiarbeit in den Nachbarschaften. Eine Initiative wie solidarity4all zur Zeit der großen Depression in Griechenland oder die Bewegung der von Zwangsräumung betroffenen (PAH) in der spanischen Schuldenkrise war in der Lage „das Selbstbild der Menschen, von dem, was sie erreichen können“, zu verändern und „mit ihnen zusammen das Verständnis ihrer eigenen Fähigkeit zur Macht“ zu entfalten (Wainwright 2012, 122). Durch solche Praxen kann ein neues inklusives WIR entstehen. Denn die Erfahrung des Gemeinsamen verleiht Handlungsfähigkeit und gibt den Glauben an die eigene Zukunft und an kollektive Veränderung zurück. Im besten Falle gesellen sich dazu Enklaven eines rebellischen Regierens in Städten und Räumen, in denen es der Linken gelingt, relative Mehrheiten zu organisieren und gesellschaftliche Bewegungen, Organisierung und institutionelle Politik in ein produktives Verhältnis zu bringen. Dazu gehört auch, eine Perspektive offen zu halten, die auf ein Ende des Kapitalismus und auf eine solidarische Gesellschaft hinarbeitet. Dazu gehören ganz selbstverständliche Dinge wie eine kostenfreie Gesundheitsversorgung und Bildung sowie bezahlbares Wohnen für alle; entgeltfreie öffentlichen Dienstleistungen von Bibliotheken bis zum öffentlichen Personennahverkehr; demokratische Mitsprache, die etwas bewegt; selbstbestimmte Arbeit und Autonomie, der ökologische Umbau der Städte, des Verkehrs, der Energieversorgung und Landwirtschaft; viel mehr Zeit füreinander und zum Leben. Hier scheint das Unabgegoltene vergangener Zukünfte auf, von der Französischen Revolution über die Russische Revolution bis hin zu 1968 oder 1989. Es ist die Hoffnung auf und die Arbeit an einem erneuerten Sozialismus. Denn die Hegemonie der Herrschenden ist nie vollständig und die inneren Widersprüche des Kapitals und des Blocks an der Macht brechen immer wieder auf. Sie können angesichts des Niveaus immer neuer Krisen und Katastrophen zu ungeahnten Brüchen und Öffnungen für eine Alternative führen. Auf diese Möglichkeit gilt es sich stets vorzubereiten.


These 12

Linke Defensive bedeutet entsprechend nicht, dass nicht fortwährend gesellschaftliche Auseinandersetzungen stattfänden. Gesellschaftliche Widersprüche werden auch in einer neuen Periode nicht stillgestellt. Das insgesamt höhere Niveau von Krisen und Katastrophen bildet vielmehr die Grundlage dafür, dass aus kleinen generischen Krisen schnell größere werden können und Kämpfe sich verdichten. So erleben wir trotz einer strukturellen Schwäche und schwindender Organisationsmacht von Gewerkschaften (und sozialen Bewegungen) derzeit das Aufkeimen einer neuen Streikbewegung, von Frankreich und Spanien über Großbritannien bis zur Bundesrepublik. Ihr geht es um die Verteidigung der Daseinsvorsorge und sozialen Infrastrukturen, um gute Arbeitsbedingungen darin und um den Ausgleich von Reallohnverlusten im Zuge von Pandemie und Inflation. Und doch scheitern diese Aufbrüche an den soliden Mauern der Institutionen. Nichtsdestotrotz könnten sich vor allem an den Schnittstellen von sozialer, ökologischer und Friedensfrage in Zukunft immer wieder gesellschaftliche Mobilisierungen verdichten. Solche Momente können eine wichtige Grundlage für den Wiederaufbau einer gesellschaftlichen Linken darstellen. Die Situationen und Handlungsbedingungen werden sich verändern und selbst in der Defensive müssen Vorbereitungen für eine Offensive getroffen werden. Zentral wäre dabei, nicht passiv auf solche Momente zu hoffen, sondern aktiv und gemeinsam mit Bündnispartner*innen herausgehobene gesellschaftlich produktive Konflikte zu erzeugen, die einen klaren Gegner benennen.[4] 


These 13

Eine neue Hegemonie schafft neue Bedingungen für ein neues Projekt von links. So führte erst die Verallgemeinerung des Neoliberalismus durch sozialdemokratische Regierungen (in Deutschland unter Rot-Grün) dazu, dass oppositionelle gesellschaftliche Gruppen sich entscheiden mussten und entweder in den Machtblock aufstiegen oder eben draußen blieben. Damit waren viele vorher denkbare Wege und Bündnisse verstellt und es wuchs der Druck zur Konvergenz auf die verbliebenen Teile der gesellschaftlichen Linken. Dieser Druck, sich neu zu formieren, brachte gewissermaßen auf dem Höhepunkt des Neoliberalismus die Partei Die LINKE hervor. Ähnliches ist auch heute wieder denkbar. Es wächst der Druck zur Konvergenz links-sozial-ökologischer, links-gewerkschaftlicher, sozialistischer, feministischer und radikaler Kräfte, die unter der neuen Hegemonie keine Repräsentation oder zu wenige Bündnispartner*innen finden, um wirksam zu sein.


These 14

Für eine solche Konvergenz gibt es aber leider keinen Automatismus. Sofern eine mediale Diskursdynamik gegen die LINKE eingesetzt hat, die in einer Abwärtsspirale mündet und aus dem Inneren der Organisation selbst weiterbefördert wird, gibt es eigentlich nur zwei Wege aus der Krise: Entweder eine Art disruptive Neugründung der bestehenden Organisation (wie etwa Labour unter Corbyn mit Momentum) oder die Gründung einer neuen Organisation (wie Podemos in Spanien). Über den Umweg von Unidas Podemos, also sozusagen einer Kombination beider Wege, gelang es in Spanien, die Vereinigte Linke – Izquierda Unida – vorübergehend zu retten. Dies hätte aber auch anders kommen können. Die Gründung einer neuen Organisation kann auch zu einer Fragmentierung der Linken (wie in Italien) führen. Bestehende Organisationen sollten also nicht leichtfertig auf Spiel gesetzt werden – was wiederum kein Argument gegen die Erneuerung einer bestehenden Organisation sein sollte. 

Nach innen braucht es eine programmatische Erneuerung und ein Signal des Aufbruchs in den Themenfeldern Frieden,[5] sozial-ökologischer Systemwechsel und Infrastruktursozialismus, Arbeit und Ökonomie der Zukunft. Dabei muss auf das im engeren Sinne linkskonservative Spektrum um Sahra Wagenknecht keine Rücksicht mehr genommen werden. Nach dem von ihr selbst erklärten Bruch ist die LINKE bereits in einer Post-Wagenknecht-Situation. Das ermöglicht es, die blockierte Richtungsentscheidung aufzulösen und gesellschaftlichen Widersprüche anders und in verbindender Perspektiven anzugehen. Denn trotz des negativen Trends existiert nach jüngsten Umfragen[6] vom Mai 2023 immer noch ein Wählerpotenzial von ca. 16 Prozent für eine sozial-ökologisch ausgerichtete, kapitalismuskritische und friedenspolitisch neu profilierte linke Partei mit sozialistischer Perspektive. Welche sozialen Gruppen wären es, die für eine Stabilisierung über fünf Prozent notwendig wären? Ihr höchstes Potenzial hat die LINKE weiter bei Haushalten mit einem niedrigen Einkommen. Es sind diese Gruppen, welche – anders als häufig suggeriert – die dezidiert sozial-ökologischen Forderungen der Partei am stärksten befürworten.[7] Bekanntermaßen gehen diese Wählergruppen aber besonders häufig nicht zur Wahl. Hier braucht es also eine überzeugende Nichtwähler-Strategie

Das zweitgrößte Wählerreservoir für die LINKE liegt bei SPD und Grünen. Es sind all jene, die bereits jetzt von SPD und Grünen enttäuscht sind oder in Zukunft enttäuscht werden, vor allem linksgewerkschaftliche und linksökologische Wählergruppen. Dazu kommen jene linken sozialökologischen, antifaschistischen, antirassistischen oder feministischen Klassenmilieus, die derzeit nicht (mehr) die LINKE wählen und eher zu Bewegungen neigen oder Kleinparteien wählen. Das ist durchaus ein wichtiger Sektor für die Partei. Nicht nur, weil die Tierschutzpartei, die Urbane, die Klimaliste oder Volt der LINKEN entscheidende 0,5 Prozentpunkte kosten, sondern auch weil hier neue Initiativen für gemeinsame Wahlplattformen entstehen können. All das sind Gruppen, die für eine Neugründung der LINKEN zu gewinnen wären. 

Ob ein linkskonservatives Projekt gegründet wird, hat die LINKE nicht in der Hand. Wenn es kommt, verliert die Partei sicherlich ein erhebliches Potenzial in diese Richtung. In jedem Fall gilt es möglichst viele Mitglieder und Wähler*innen zu halten. Aus dem linkssozialdemokratischen sowie traditionell gewerkschaftlichen Spektrum wollen sich viele für das Überleben der LINKEN einsetzen. Sie sollten offensiv angesprochen und in ein neues Projekt integriert werden, gemeinsam mit den innerparteilichen Mehrheitsfraktionen von „Bewegungslinken“ und „progressiver Linken“ sowie mit den gesellschaftlichen Gruppen, die sie jeweils repräsentieren. Sympathisant*innen zu halten genügt jedoch längst nicht mehr, denn die Stammwähler*innenschaft ist zu klein geworden. Die LINKE muss ihre Basis erweitern, neue Mitglieder gewinnen und mit ihnen gemeinsam um Wähler*innenstimmen kämpfen. Nur in klarer inhaltlicher wie symbolischer Abgrenzung vom Linkskonservatismus und durch kluge Neuorientierung und Bündnispolitik kann sie wieder eine attraktive Repräsentantin und Partnerin einer breiteren gesellschaftlichen Linken werden. Das gelingt nur durch eine deutliche Profilierung als moderne sozialistische Gerechtigkeitspartei und als klassenorientierte sozialökologische und feministische Partei der Gleichheit und Freiheit und des Friedens mit sozialistischer Perspektive, als LINKEplus.[8] 


These 15

Zu bedenken wären bereits jetzt Wege zu einer disruptiven Neugründung der LINKEN aus dem strategischen Zentrum der Partei heraus. Das wäre der umgekehrte Weg von #aufstehen, vergleichbar eher mit Momentum in UK: Es geht darum, eine Struktur für Aktive, Gewerkschafter*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen zu schaffen, die nicht Teil der Partei sein wollen (oder können) und sich dennoch in eine verbindliche Unterstützungsstruktur einbringen wollen. Denn bereits jetzt zeichnet sich ein Feld links von SPD und Grünen ab, welches derzeit keine Repräsentation findet und teilweise auch keine Repräsentation in der typischen Parteiform mehr sucht, aber deren Wert sehr wohl erkennt. Dieses Spektrum reicht von #armutsbetroffen und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband über Fridays for Future, den BUND und linke Gewerkschafter*innen bis hin zu Antifa und Migrant*innen-Selbstorganisierungen und nicht zuletzt kritischen Intellektuellen.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Disruptiv meint nicht „zerstörerisch“, sondern einen Aufbruch im Sinne eines erkennbaren und wirkungsvollen Bruchs mit dem Weiter-so, hin zu einer neuen, klassenorientiert sozialökologischen, feministischen, antirassistischen LINKEN Friedenspartei mit sozialistischer Perspektive. Der Beginn einer neuen gesellschaftlichen Entwicklungsperiode macht auch die Neugründung der Partei zur Notwendigkeit, sofern sie überleben will. Wie viel Erneuerung und Bruch und wieviel konstruktive Weiterentwicklung und "Zusammenhalten" brauchen wir? Selbstverständlich braucht es beides. Doch dies ist ein schwieriger Balanceakt. Ziemlich sicher wird die Partei Leute verlieren und andere eben nicht gewinnen, selbst wenn sie diese Aufgabe gut meistert. Umgehen kann sie diesen Widerspruch nicht, sie muss sich darin bewegen. Diesen Schritt der Veränderung zu gehen, daran kommt sie nicht vorbei. Sie verpasst sonst die Chance, den Ring der Isolierung zu durchbrechen. 

Es braucht eine Art Doppelbewegung nach innen und nach außen: ein Signal an die „eigenen Leute“, die Aktiven und Nicht-mehr-Aktiven der Partei, aber auch ein Signal nach außen, dass nun eine neue Zeit beginnt. Ein Neustart der Partei und der Linken insgesamt, der sich auf der Höhe der gesellschaftlichen Situation bewegt, eines beginnenden neuen Herrschaftsprojektes konkurrierender Varieties of Green Empires in einer Zeit von Gewalt und Katastrophen.