Barcelona en Comú wollte städtische Alternativökonomien jenseits der Nische aufbauen. Doch das Vorhaben wurde ausgebremst – durch die Logik der Staatsapparate, durch rigide EU-Wettbewerbspolitik, und durch eigene strategische Versäumnisse.

 

Im Lichte multipler Krisen und einer europaweiten Politik der Austerität sind Städte zu Orten des Widerstands und zu Laboren alternativer Sozial- und Wirtschaftspolitik geworden (Harvey 2013; Schönig/Schipper 2016). So gewannen 2015 in allen Großstädten Spaniens lokale Bewegungsbündnisse die Wahlen. Es entstand eine Dynamik städtischer Politik, die auf die Kooperation mit Zivilgesellschaft und Bewegungen setzte, sich in Opposition zum (Zentral-)Staat stellte und seitdem als Neuer Munizipalismus diskutiert wird (Brunner et al. 2017; Huke 2017; Thompson 2021; Roth et al. 2023). Als Leuchtturm dieser Entwicklung gilt die Stadt Barcelona: 2015 gewann die im Vorfeld der Kommunalwahlen aus zivilgesellschaftlichen Initiativen hervorgegangene Bürgerplattform Barcelona en Comú überraschend die Wahlen und stellte bis 2023 mit Ada Colau die Bürgermeisterin. Barcelona en Comú hat zunächst als Minderheitenregierung und zuletzt vier Jahre mit der sozialistischen Partei (PSC) als Koalitionspartner regiert; im Mai 2023 hat das Bündnis die Wahlen knapp verloren.

Die von Barcelona en Comú angeführte neue Stadtregierung schrieb sich in die wechselvolle Geschichte des Munizipalismus ein. Dieser geht zurück auf lokale Sozialprogramme und materielle Energie-, Wasser- und Mobilitätsinfrastrukturen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als in den schnell wachsenden Städten immer ersichtlicher wurde, dass privatwirtschaftliche Unternehmen kein funktionierendes Stadtleben garantierten. Munizipalistische Ansätze – seinerzeit auch als „Munizipalsozialismus“ (Kühl 2001) diskutiert – waren von der Idee getragen, dass es für eine soziale, gemeinwohlorientierte Politik förderlich ist, Macht und Entscheidungsprozesse dezentral zu organisieren, in räumlicher Nähe zum alltäglichen Leben der Bürger*innen. Eine “Politik der Nähe” (Subirats 2016; übers. d. Verf.) markiert auch im neuen Munizipalismus den strategischen Ansatzpunkt, um Alternativen zur Dominanz von Profitinteressen und Austerität zu entwickeln. Barcelona en Comú trägt das Gemeinsame und Geteilte bereits im Namen und hat das Prinzip der Commons – verstanden als kooperative Produktion, Nutzung und Selbstverwaltung von Strukturen und Ressourcen – sowie die Zusammenarbeit von Stadtregierung und Zivilgesellschaft zu seinem Markenkern gemacht. Eingebettet war dieses Prinzip in das Vorhaben, die städtische Ökonomie substanziell zu entprivatisieren und zu demokratisieren. Ein wichtiger Ansatzpunkt dafür war eine Politik der (Re-)Munizipalisierung – verstanden als „Wiedererlangung der demokratischen Kontrolle über Sektoren mit starken Auswirkungen auf das Leben der Bürger*innen“ (Badia/Gornes 2021; übers. d. Verf.). Diese Politik erzielte einige Erfolge, doch die Umsetzung gestaltete sich insgesamt als äußerst schwierig, insbesondere in den Bereichen der Wasser- und Gesundheitsversorgung. Wir wollen uns hier auf den anderen zentralen Ansatzpunkt konzentrieren, der in den acht Regierungsjahren große Strahlkraft besaß: die Förderung und der Ausbau der Sozial- und Solidarwirtschaft (Economía Social y Soldaria, ESS). Im Zentrum der munizipalistischen Politik in diesem Feld standen erstens die Stärkung des demokratischen Prinzips kollektiver Verfügung und Entscheidung auf der Ebene der einzelnen Unternehmung, zweitens der Ausbau von Vernetzungs- und Koordinationsstrukturen zur Etablierung sozialer Märkte sowie drittens eine Politik der Vergabe öffentlicher Aufträge an Akteure der Sozial- und Solidarwirtschaft. Im Sinne der angestrebten Kooperation und Verzahnung von Stadtregierung und Zivilgesellschaft hat Barcelona en Comú sozialwirtschaftliche Akteure als wichtige Träger einer neuen, öffentlichen Wirtschaftspolitik adressiert.

Barcelona hat als ‚Leuchtturm‘ des neuen Munizipalismus politisch wie wissenschaftlich viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen (z.B. Rubio-Pueyo 2017; Baird et al. 2019; Blanco et al. 2020). Zu einzelnen Politikfeldern wie der Wohnraumversorgung, der Stadtplanung und dem Tourismus liegen inzwischen umfangreiche Analysen und Evaluationen vor. In der übergreifenden Frage, ob es gelungen ist, ein neues Sozial- und Wirtschaftsmodell zu implementieren und die Stadt als Common(s) zu verwalten, beschränkt sich die Auswertung weitgehend auf die Analyse von Programmen und Absichtsbekundungen. Wie wir im Folgenden zeigen, geraten damit aber gerade die Hürden und Hemmnisse der Umsetzung transformativer Politik aus dem Blick, deren Verständnis unabdingbar für aktuelle und zukünftige progressive städtische Bewegungen ist. Wir diskutieren, was in acht Jahren Regierungsverantwortung aus diesem Vorhaben geworden ist und lenken die Aufmerksamkeit auf die Unschärfe und Deutungsoffenheit der dort entwickelten Sozial- und Solidarwirtschaft, die unter den gegebenen Kräfteverhältnissen das Auseinandertreten von Programmatik und Praxis befördert hat. An der Schnittstelle von Programm und Praxis wollen wir abschließend diskutieren, ob und inwiefern die städtische Politik zur Stärkung von Alternativökonomien in Barcelona dennoch als Ausdruck und Motor demokratischer Wirtschaftsplanung begriffen werden kann. 

Die Sozial- und Solidarwirtschaft im neuen Munizipalismus – Von der Programmatik zur Praxis

Die Idee einer sozialen und solidarischen Ökonomie ist in aller Munde: Sie spielt in der UN Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung eine zentrale Rolle (UN General Assembly 2015) und taucht auch verstärkt in Strategiepapieren zur wirtschaftlichen Entwicklung in der EU auf. Die Europäische Kommission fasst als Social Economy die Vielzahl der „Einrichtungen, die an erster Stelle soziale und ökologische Zwecke verfolgen und den größten Teil ihres Gewinns in die Organisation reinvestieren“ (Europäische Kommission 2021). Während der Begriff Sozialwirtschaft historisch vor allem für nicht profitorientierte Sozialunternehmen im Dienstleistungssektor (Dritter Sektor) verwendet wurde, zielte die Bezeichnung der solidarischen Ökonomie auf Akteure, die die kapitalistische Wirtschaftsweise transformieren wollen und geht auf Felipe Alaiz und die Förderung von Genossenschaften während des Spanischen Bürgerkriegs zurück. Erst 1997 wurde das Amalgam aus Sozialer und Solidarischer Wirtschaft durch das Intercontinental Network for the Promotion of Social Solidarity Economy international auf den Begriff gebracht und hat sich seitdem als übliche Sprachregelung durchgesetzt (UNFTSSE 2022). In der Literatur hat sich im Lichte dessen die Unterscheidung von drei Akteursgruppen als Träger*innen der ESS durchgesetzt: Kooperativen/Genossenschaften, Non-Profit-Organisationen sowie zivilgesellschaftliche Organisationen, die auf Reziprozität und gegenseitige (nicht-monetarisierte) Hilfe setzen (Moulaert/Ailenei 2005). Aktuell sind drei Perspektiven auf die Sozial- und Solidarwirtschaft zu unterscheiden, die sich in der Praxis überlagern (können): erstens die ESS als eigenständiger Sektor, der nach anderen Maßgaben funktioniert als die ‚reguläre‘ Ökonomie und dem Umstand Rechnung trägt, dass nicht alle notwendigen Aufgaben der sozialen Reproduktion profitabel zu organisieren sind, zweitens die ESS als transformatives Projekt, das sich nicht auf die (nichtprofitable) Nische beschränkt und auf eine Entprivatisierung und Demokratisierung der kapitalistischen Wirtschaft in der Breite zielt sowie drittens die ESS als sektorenübergreifende Krisenstrategie, die die EU-Politik prägt und durch Diversifizierung zur Stabilisierung der krisenanfälligen kapitalistischen Ökonomie im Sinne einer „resiliente(n) soziale(n) Marktwirtschaft ” (Council of the European Union 2015; übers. d. Verf.) beitragen soll.[1] Wie ist im Lichte dessen die Rolle der Sozial- und Solidarwirtschaft im neuen Munizipalismus in Barcelona einzuordnen?

ESS in Barcelona: Programmatik und Anspruch

In der Regierungsverantwortung konnte Barcelona en Comú an eine starke zivilgesellschaftliche Basis und eine lange Tradition von Kooperativen und Nachbarschaftsnetzwerken in Katalonien anschließen. Bereits im Wahlprogramm 2015 hat Barcelona en Comú die Förderung der ESS angekündigt und früh die Weichen für ihre Verankerung in der Stadtpolitik gestellt: Im Wirtschaftsdepartment entstand eine eigene ESS-Abteilung mit einem jährlichen Budget von 4 Millionen Euro. Zusätzlich hat die neue Stadtregierung innerhalb der städtischen Agentur für Beschäftigung und Wirtschaftsförderung Barcelona Activa eine eigenständige Abteilung für die ESS ins Leben gerufen. Gemeinsam mit der Regionalregierung Kataloniens und einem Dachverband von Kooperativen wurde zudem ein großes infrastrukturelles Projekt (Bloc IV) auf den Weg gebracht, das als Inkubator für die Gründung neuer ESS-Projekte sowie als Schulungs- und Vernetzungsort dienen sollte.  

Mehrere Strategieprogramme zur städtischen Sozial- und Solidarwirtschaft (AdB 2016; AdB 2020; AdB 2021) verfolgen eine transformative Perspektive und zielen auf ein ‚Mainstreaming‘ der ESS in einem neuen, partizipativen Sozial- und Wirtschaftsmodell. Es geht um die Förderung neuer Initiativen und Projekte, die Stärkung bestehender Alternativökonomien sowie die Konsolidierung und Ausweitung von sozialen Märkten, innerhalb derer die ESS sukzessive ihren ‚Exotenstatus‘ in der kapitalistischen Ökonomie verlieren soll. Die transformative Perspektive einer alternativen Ökonomie wird eng mit dem munizipalistischen Projekt einer ‘Politik der Nähe’ verbunden: „Die ESS kann ein sehr geeignetes Instrument wirtschaftlicher Intervention sein, welches auf die Konstitution eines ökonomischen Raums der Nähe zielt: die territoriale Verbindung ihrer Mitglieder, die Nutzung lokaler Ressourcen und die Tendenz zur Bildung von Netzwerken durch Interkooperation" (AdB 2016: 70; übers. d. Verf.). Nicht die rechtliche Verfasstheit, sondern inhaltliche Ziele sollen entscheidend für die Charakterisierung als Teil der ESS sein, insbesondere „demokratische und partizipative Verwaltung, Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen und Engagement für die Gemeinschaft ” (ebd.: 5; übers. d. Verf.). In programmatischer Hinsicht zielt die Pluralisierung der Ökonomie nicht darauf, Stabilisierung und Resilienz in der krisenhaften kapitalistischen Ökonomie zu fördern (wie in den einschlägigen EU-Richtlinien), sondern die Systemkrise des Kapitalismus strategisch für eine weitreichende Transformation zu nutzen. Die ESS ist in diesem Verständnis nicht der Krisenpuffer einer deregulierten Ökonomie, sondern die Keimzelle einer neuen Ökonomie, die sich durch die Demokratisierung der Planung, die Unterordnung des Marktes unter das Gemeinwohl sowie die Förderung einer nicht-monetarisierten Ökonomie der Selbstorganisation auszeichnet.

Dass es politisch breite Unterstützung für eine Stärkung der Sozial- und Solidarwirtschaft gibt, zeigt die Politik in der Autonomieregion Katalonien. Sie weist in eine ähnliche Richtung, ohne dass ein Bewegungsbündnis an der Macht ist: Hier ist vor allem das geplante Gesetz zur Stärkung der Sozial- und Solidarwirtschaft zu nennen, das seit einigen Jahren in Vorbereitung ist, kurz vor der Verabschiedung steht und innerhalb der ESS kontrovers diskutiert wird (s.u.). Das Gesetz soll eine rechtssichere Definition schaffen, in dem verbindliche Kriterien für die Anerkennung als Akteur der ESS verabschiedet werden, ein Akkreditierungs- und Monitoringverfahren eingeführt sowie ein öffentliches Register geschaffen wird, das die Vergabe öffentlicher Aufträge erleichtern und die Sichtbarkeit des Sektors erhöhen soll. 

ESS in Barcelona: Die Praxis

Gerade weil der programmatische Ansatz radikal war, es breite Unterstützung für das Projekt gab und in Katalonien günstige Rahmenbedingungen existierten, ist Barcelona ein gutes Beispiel, um nach den Hürden für eine Entprivatisierung und Demokratisierung städtischer Ökonomien durch eine starke Sozial- und Solidarwirtschaft zu fragen. Die Politik von Barcelona en Comú hat ohne Zweifel zur Sichtbarkeit der ESS sowie zu substanziell verbesserten finanziellen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen beigetragen – das konstatiert auch eine Evaluation des United Nations Research Institute for Social Development (Chaves-Avila et al. 2020). Der weitreichende transformative Anspruch – auch jenseits der nicht profitablen Nischen des Dritten Sektors einen substanziellen Wandel der städtischen Ökonomie einzuleiten – konnte in der Praxis hingegen nicht eingelöst werden. Zwar ist es gelungen ESS-Akteure zu stärken und auf diesem Weg soziale Beschäftigung zu fördern, doch die Ausrichtung auf die ‚marktgängigen‘ und wettbewerbsfähigen Stränge der ESS hat dazu geführt, dass nicht monetarisierte Gemeinschaftsökonomien und kleine Kooperativen sukzessive ins Hintertreffen geraten sind. Zugespitzt formuliert wurden jenseits der Nische eher ESS-Akteure – durchaus erfolgreich – an den Markt herangeführt, als dass Märkte zugunsten von Kooperation und Planung zurückgedrängt worden wären. 

Der politische Wille scheiterte an strukturellen, administrativen und rechtlichen Selektivitäten, die das anspruchsvolle transformative Anliegen ausbremsten. Das für die Identität von Barcelona en Comú so zentrale Prinzip der Commons lag gewissermaßen quer zur Abteilungslogik und den Zuständigkeitsbereichen innerhalb der Stadtverwaltung: Da Wirtschafts-, Sozial- und Partizipationspolitik in getrennten Abteilungen bearbeitet werden, gerieten die Commons durch ihren integrativ-hybriden, radikaldemokratischen Charakter zwischen alle Stühle. Der von 2015 bis 2017 für die SSE zuständige Stadtrat Jordi Via moniert im Rückblick das „Silo-Denken“ und die hierarchischen Strukturen der Stadtverwaltung, die mit dem politikfeldübergreifenden Charakter einer transformativen Sozial- und Solidarwirtschaft nicht vereinbar seien. Während eigene Abteilungen die Sichtbarkeit der ESS erhöht haben, haben sie zugleich die Arbeitsteilung zwischen Barcelona en Comú (zuständig für die ESS) und dem sozialistischen Koalitionspartner PSC (zuständig für die ‚reguläre‘ Wirtschaftspolitik) zementiert und damit die Ausrichtung der Sozial- und Solidarwirtschaft als Nischenökonomie festgeschrieben.

Jenseits der städtischen Ebene haben sich vor allem EU-Richtlinien als Hürden für die Umsetzung der ambitionierten Programmatik erwiesen. Ein Politikfeld, in dem sich viele Probleme verdichteten, ist die öffentliche Beschaffungalso die Vergabe öffentlicher Aufträge an externe Unternehmen, die ein wesentliches ‚Schwert‘ demokratischer Wirtschaftsplanung sein sollten. In allen Wahlprogrammen von Barcelona en Comú wurde das Ziel formuliert, 25 Prozent der Vergaben an ESS-Akteure zu übertragen. Doch dieses Ziel konnte nicht annähernd erreicht werden. Tatsächlich wird eine explizite Priorisierung in diesem Ausmaß durch das geltende EU-Recht erheblich erschwert: Da fast alle Dienstleistungen, auch die der sozialen Daseinsvorsorge, als wirtschaftliche Dienstleistungen gefasst werden, die dem Geltungsbereich des EU-Binnenmarktrechts unterliegen und europaweit kompetitiv ausgeschrieben werden müssen, gelten Beihilfen und Priorisierungen von Akteuren als wettbewerbsverzerrend. Auch wenn die Stärkung von sozialen und ökologischen Vergabekriterien zu Lasten eines reinen Preiswettbewerbs die Bedingungen für Akteure der ESS seit 2014 verbessert hat[2] und es in Barcelona gelungen ist, das Preiskriterium nicht mehr zu 80, sondern nur noch zu 35 Prozent zu berücksichtigen, ist eine gezielte Vergabe an die ESS nach wie vor kaum möglich.

Neben diesen strukturellen Selektivitäten und Barrieren hat auch der linkspopulistische Ansatz von Barcelona en Comú zur Verschärfung des Problems beigetragen: Das Credo, den politischen und ökonomischen Eliten die Stadtbevölkerung der gente comú (der „gemeinen Leute“) gegenüberzustellen und auf die Bedeutung von Zivilgesellschaft, Koproduktion und räumliche Nähe zu setzen, führte dazu, dass von Klassengegensätzen, Interessenkonflikten und Eigentumsverhältnissen eher geschwiegen wurde. Zugespitzt formuliert galt die Aufmerksamkeit der politischen Kultur und dem Management der Akteure auf städtischer Ebene, während die politische Ökonomie und die makroökonomischen Bedingungen vernachlässigt oder dem Koalitionspartner überlassen wurden. Dass die angestrebte transformative Durchdringung der Ökonomie durch Prinzipien der Sozial- und Solidarwirtschaft gerade kein kooperativer Spaziergang ist, sondern ein radikaler Angriff auf das kapitalistische Privateigentum, wurde strategisch zu wenig berücksichtigt. Lediglich ein Repräsentant der ESS auf katalanischer Ebene sprach das Problem uns gegenüber offen an: „Es [das Eigentum] ist heilig. Wenn ich mich politisch so äußern würde, ‚Die Sozialwirtschaft verändert das Konzept des Eigentums, und jetzt wird es kein individuelles Eigentum mehr geben, sondern kollektives Eigentum, und die Güter werden gemeinschaftlich sein‘, dann bin ich morgen nicht mehr.“ 

Alternativökonomien und demokratische Wirtschaftsplanung

Viel spricht dafür, dass Barcelona en Comú die Gegner und Beharrungskräfte unter- und das eigene transformative Potenzial überschätzt hat. Tatsächlich konkurrierte das transformative, kapitalismuskritische Hegemonieprojekt des Bündnisses mit dem wesentlich einflussreicheren sozial-liberalen Hegemonieprojekt einer „resiliente(n) soziale(n) Marktwirtschaft” (Council of the European Union 2015; übers. d. Verf.). Es konkurrierte auch mit einer lang etablierten Praxis, Aufträge an nicht profitorientierte Akteure in definierten Nischen der sozialen Daseinsvorsorge zu vergeben. Unter diesen ungleichen Bedingungen ist eine ‚politische Ökonomie des Nebulösen‘ entstanden: Barcelona en Comú hat alles darangesetzt, die ESS – der programmatischen Radikalität zum Trotz – durch möglichst breite Anschlussfähigkeit zu stärken, wodurch das transformative Anliegen in der Praxis unterminiert wurde. 

Wie ‚heiß‘ vor allem das Eisen einer anspruchsvollen, rechtssicheren Definition der ESS ist, zeigen die Auseinandersetzungen um das katalanische ESS-Gesetz und die Gründung einer Interessenvertretung in Katalonien: Um diese überhaupt zu ermöglichen, wurde eine inhaltliche Bestimmung erst einmal vertagt. Man geht von der Idee aus, „dass jeder, der sich als Teil der Sozialwirtschaft fühlt, kommt und mitmacht“, wie ein zentraler Protagonist im Interview betont. Diese Deutungsoffenheit hat es nicht nur privatwirtschaftlichen Akteuren erleichtert, unter dieser ‚Flagge‘ zu segeln und von Förderungen zu profitieren, sondern sie hat auch das Potenzial demokratischer Planung in bzw. durch Alternativökonomien in dreierlei Hinsicht geschwächt: Erstens ist gerade die Frage der kollektiven Entscheidungsfindung und Verfügungsmacht sowie der internen demokratische Verfasstheit sozial- und solidarwirtschaftlicher Akteure zwischen den einschlägigen Akteuren innerhalb des Sektors umstritten – zwischen den Stiftungen und Verbänden des Dritten Sektors, die dem eher ablehnend gegenüberstehen, auf der einen sowie Kooperativen, Genossenschaften und Commons-(nahen)-Initiativen auf der anderen Seite. Zweitens ist mit Blick auf die Konsolidierung von sozialen Märkten und Strukturen der wechselseitigen Kooperation innerhalb der Sozial- und Solidarwirtschaft die konkrete Definition von Gemeinnützigkeit ebenso umkämpft wie die Festlegung konkreter Evaluationskriterien. Drittens sind in Barcelona hinsichtlich einer progressiven Vergabepolitik, die auch soziale und ökologische Kriterien sowie Maßnahmen zum Schutz und zur Beteiligung der Beschäftigten gewichtet, zwar durchaus Erfolge zu verzeichnen; doch eine systematische Priorisierung von sozial- und solidarwirtschaftlichen Akteuren wurde nicht nur durch die EU-Wettbewerbspolitik, sondern auch durch das Fehlen einer rechtssicheren Definition der ESS erheblich erschwert – um diese wird allerdings mit großer Hartnäckigkeit weiter gerungen.

Eine demokratische Wirtschaftsplanung, die sozial- und solidarwirtschaftliche Akteure stärkt und dadurch privatnützige Wettbewerbs- und Profitorientierung zugunsten gemeinnütziger Kooperation und Planung zurückdrängt, wird durch die faktische Residualisierung der ESS als Nischenökonomie unterlaufen. So resümiert auch der von 2017 bis 2023 zuständige Stadtrat Alvaro Porro: „Wir sind in einem Stadium, das nicht bedrohlich genug für die große Ökonomie ist“ (übers. d. Verf.). Die große Diskrepanz zwischen Programmatik und Praxis sei auch darauf zurückzuführen, dass wirkungsvolle  Strategien gefehlt hätten: „Es geht nicht nur darum zu sagen, dass wir den Kapitalismus oder die Wirtschaft verändern wollen (…) Wir brauchen Akteure mit wirtschaftlichem Einfluss und Expertise, die mit dem Rest der Ökonomie auf Augenhöhe sind, und die der Gesellschaft zeigen können, dass es nicht einfach um kleine, nette, aber symbolische Projekte geht – sondern darum, ein echter Teil der Wirtschaft zu sein“ (Übers. d. Verf.).  Das Fehlen einer solchen Strategie zeigt sich auch daran, dass es an übergreifenden Plänen fehlte, welche Bereiche der Ökonomie mit welcher Priorität zu demokratisieren wären. Oft schien die Idee vorherrschend, dass sich die rechtliche, finanzielle und infrastrukturelle Förderung sozial- und solidarwirtschaftlicher Akteure gewissermaßen zu einer demokratischen (Sozial-)Wirtschaft ‚aufaddieren‘ würde – ohne dass den strukturellen Barrieren und organisierten Gegenkräften hinreichend strategische Aufmerksamkeit geschenkt wurde. 

Zugleich hat Barcelona en Comú aber frühzeitig erkannt, dass Demokratisierung keine Einbahnstraße ist, die stets von den Alternativen in die (Stadt-)Regierung führt. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Sozial- und Solidarwirtschaft zeigen, dass das transformative munizipalistische Projekt auch ‚von innen‘ geschwächt wurde: Nicht alle ESS-Akteure haben mit offenen Armen auf strikte Kriterien für interne Demokratisierung, transparente Partizipation und sozial-ökologische Orientierung gewartet. Barcelona en Comú hat im Lichte dessen um eine „doppelte Demokratisierung“ (Kip/van Dyk 2024; übers. d. Verf.) gerungen: Diese hatte nicht nur das viel beachtete ‚Commoning‘ öffentlicher Politik im Sinne einer Demokratisierung ‚von unten‘ zum Ziel (z.B. Bianchi 2022), sondern auch das – weit weniger beachtete – Öffentlich-Werden der Alternativen: Dieses sollte dem Partikularismus der vielen Einzelprojekte im Sinne einer Demokratisierung ‚von oben‘ ein universales Geländer verleihen.

Die zahlreichen Ansätze zur Demokratisierung des städtischen Sozial- und Wirtschaftsmodells sind trotz aller dieser Probleme gute Gründe dafür, Barcelona als Leuchtturmprojekt des neuen Munizipalismus zu würdigen. Wer von Barcelona lernen möchte, sollte nicht nur aus der Ferne die hell leuchtende Programmatik der Sozial- und Solidarwirtschaft und das diskursive Feuerwerk der Commons bewundern. Erst wenn man näher herantritt, zeigt sich, wo und wie das über Barcelona hinausstrahlende Versprechen einer radikal-demokratischen städtischen Ökonomie im politischen Alltag ausgebremst wurde.