Die Klimakrise vervielfacht die Gefahr unerwarteter, seltener Extrem-Ereignisse. Deren Macht und Zerstörungskraft werden eklatant unterschätzt. Erst im Juni 2021 veröffentlichte das Umweltbundesamt die „Klimawirkungs- und Risikoanalyse für Deutschland“ - Eine Folgenabschätzung zu Auswirkungen der Klimakrise. In insgesamt sechs Bänden werden 102 Klimawirkungen und 13 Handlungsfelder untersucht und bewertet.

Dabei werden zwei Szenarien analysiert. Im pessimistischen Fall wird zwar auf allen Ebenen in fast allen Handlungsfeldern auch nach Umsetzung von Klimaanpassungs-Maßnahmen mit höheren Restrisiken gerechnet. Zudem wird vor steigenden Restrisiken gewarnt und die Notwendigkeit weiterreichender Klimaanpassung hervorgehoben. Doch die Signalfarbe rot für „Klimaalarm“ oder „Klimanotstand“ taucht häufiger nur im pessimistischen Szenario ohne Anpassung auf. Im optimistischen Fall sehen die Expert*innen des Umweltbundesamts nach Umsetzung aller beschlossener Maßnahmen nur geringe Restrisiken. Das allgemeine Fazit: Wenn wir uns hier und da anpassen und die Treibhausgase weiter reduzieren, dann ist alles im „Grünen Bereich“, alles beherrschbar.

Zwar identifizieren die Wissenschaftler*innen 31 Klimawirkungen mit sehr dringendem Handlungsbedarf, darunter auch Folgen von Starkregen, Sturzfluten und Hochwasser. Sie sehen den Handlungsbedarf aber besonders für Infrastrukturen und Gebäude, sowie Siedlungen in der Nähe von Gewässern und in engen Tälern der Mittelgebirge. Das Wort Katastrophe kommt in der 120 seitigen Zusammenfassung nur einmal in einem anderen Zusammenhang vor. 

Nur vier Wochen nach der Veröffentlichung des Berichts, am 14. und 15. Juli, trat dann der Katastrophenfall im Ahrtal ein. 180 Menschen fanden den Tod, die herabstürzenden Fluten verursachten Schäden in Höhe von 30 Milliarden Euro. Es braucht Jahre, um die Region wiederaufzubauen. Die Menschen stehen heute noch unter Schock. Wie konnte die Risikoanalyse so daneben liegen? Warum wurden die Warnungen der Meteorolog*innen vor der herannahenden Starkregenfront ignoriert? Wieso reagierten die Krisenstäbe nicht? Die traurige Wahrheit ist: Für die Verantwortlichen war die drohende Gefahr außerhalb ihrer Vorstellungskraft.

Offensichtlich schätzen wir die Macht und die Wucht von Extremereignissen falsch ein. Es sind Ereignisse, die von einem Tag auf den anderen das ganze Leben verändern und die jede und jeden von uns treffen können – heute schon.

Die Risikoanalyse des Umweltbundesamtes basiert auf der Auswertung der „Mittelwerte der Änderungssignale für ausgewählte Klimaparameter“. Möglicherweise liegt hier der Trugschluss. Wenn ich bei einer Wanderung einen Fluss durchqueren will, der durchschnittlich dreißig Zentimeter tief ist, dann kann dieser Strom zugleich Flachwasserstellen wie auch Untiefen von ein bis zwei Metern aufweisen. Die Durchquerung wäre lebensgefährlich. Wichtig ist, die Extremwerte zu betrachten - Mittelwerte sind irrelevant.

Doch uns fehlt dieses Risikobewusstsein, wir ignorieren die immer häufiger werdenden Naturkatastrophen und nehmen die Warnungen vor drohenden Gefahren klimabedingter Extremereignisse auf die leichte Schulter. Die Kritik richtete sich gegen diesen gesellschaftlichen Tunnelblick.

Der Weltklimarat IPCC warnte schon 2011 in seinem Sonderbericht vor klimabedingten Extremereignissen. Die Klimakrise führt erstens zu Veränderungen der Häufigkeit und Intensität von Klimaextremen, zweitens zur verstärkten räumlichen Ausdehnung, bzw. der zeitlichen Dauer extremer Wetter- und Klimaereignisse, sowie drittens zu noch nie vorgekommenen Extremereignissen. In seinen sechsten Sachstandsbericht über Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit vom Februar 2022 schlägt der Weltklimarat wiederholt Alarm: die Folgen und Risiken der Klimakrise werden immer komplexer und schwieriger zu bewältigen sein. Klimarisiken werden gleichzeitig auftreten und sich gegenseitig verstärken, klimabedingte Extremereignisse werden dramatisch zunehmen.

Warum verstehen wir die bereits heute spürbare Zunahme klimabedingter Wetterextreme nicht als Warnsignal? Sie sind inzwischen nicht mehr zu übersehen:

Sintflutartiger Starkregen: Westeuropa erlebte Mitte Juli 2021 einige der schwersten Überschwemmungen seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. In Westdeutschland und Ostbelgien fielen großflächig 100 bis 150 Liter Regen pro Quadratmeter auf bereits gesättigten Boden, was zu Sturzfluten, Überschwemmungen und Erdrutschen führte. Eine ganze Region stürzte ins Chaos. Die Klimakrise erhöhte die Intensität der maximalen Niederschläge im Sommer. Die Wahrscheinlichkeit für sintflutartige Starkregenfälle in Westeuropa hat sich um den Faktor 1,2 bis 9 erhöht. Das ist dramatisch. Unsere Infrastruktur ist daran nicht angepasst. Menschen sind diesen Sturzfluten schutzlos ausgeliefert.  

Extreme Hitzewellen: Im Juli 2019 wurde Deutschland von einer mehrtägigen, flächendeckenden Hitzewelle erfasst, die nahezu alle Temperatur-Rekorde seit Beginn der amtlichen Wetteraufzeichnungen pulverisierte. Ursache war ein stark mäandernder Jetstream, der sowohl am Boden als auch in der Höhe sehr heiße Wüstenluft und Sahara-Staub aus Nordafrika nach Deutschland führte. Ausgetrocknete Böden speicherten die Sonnenstrahlung. Die Luft kühlte sich nicht mehr ab und erhitzte sich immer weiter. Diese Omega-Wetterlage setze sich fest. Tiefdruckgebiete prallten an ihr ab.  Die Hitze war in dem kräftigen, stationären Hochdrucksystem wie unter einer Glocke abgeschlossen und gefangen. Sie verstärkt sich selbst - ein Teufelskreis.  

Hitzewellen sind mit Abstand das tödlichste Wetterereignis. Ein schleichender, stiller Tod, der in heißen Sommern zu mehreren tausend Hitzetoten, vor allem unter den älteren Menschen führt. Der Wärmeinsel-Effekt in den sich aufheizenden Städten verschärft das Problem.

Mega-Orkane und Jahrhundert-Sturmfluten: Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste waren schon immer gefährlich. Die Sturmflut im Februar 1962 vor 60 Jahren in Hamburg gilt als größte Naturkatastrophe. Mit steigendem Meeresspiegel und sich ändernden Wettermustern drohen Hamburg jedoch noch nie dagewesene Maximalwasserstände. Eine schwere Sturmflut wie 1962 könnte in Zukunft alle elf Jahre auftreten. Der höchste bisher beobachte Wasserstand in Hamburg von 6,45 m vom 3.1.1976 könnte im Extremszenario 8,33 m erreichen und so um fast 2 m überschritten werden.  

Solch ein äußerst seltenes Unwetterphänomen, dessen Auftreten sehr unwahrscheinlich ist, wird als „perfekter Sturm“ bezeichnet. Ein Ereignis, in dem sich verschiedene Parameter gegenseitig aufschaukeln und verstärken.

Diese Extrem-Ereignisse sind potentiell mit einschneidenden Konsequenzen verbunden. Die Wahrscheinlichkeitstheorie prägte dafür den Begriff vom Schwarzen Schwan – ein Synonym für unvorhersehbares, aber sehr folgenreiches Ereignis. Ein „Schwarzer Schwan“ ist ein Ausreißer und liegt außerhalb des Bereichs der regulären Erwartungen. Er tritt höchst selten auf, hat aber massive Auswirkungen auf alles bisher Erlebte. Sein Auftreten lässt sich im Nachhinein gut erklären.

Wir leben mit einer Zukunfts-Blindheit gegenüber dem Zufall, insbesondere gegenüber diesen extrem seltenen Ereignissen. Einerseits widersprechen sie unserem Erfahrungswissen, anderseits lassen sie sich auch nicht durch Trends vorhersagen. Trendaussagen sind hier wenig hilfreich bis zwecklos. Ob Starkregenfälle, Hitzewellen oder Mega-Orkane, die Infrastruktur in Deutschland ist an den neuartigen Extrem-Ereignissen nicht angepasst. Hundertprozentigen Schutz kann es und wird es nicht geben, aber die Dimension der Auswirkungen und Folgen der Klimaänderung wird bisher verdrängt. Erst das führt zu den Katastrophen. 

Wir müssen das Undenkbare denken. Wir müssen diese klimabedingten Katastrophen-Szenarien genau analysieren, um künftig das Schlimmste zu verhindern. Genau das leistet die Wirkungs- und Risikoanalyse des Umweltbundesamtes nicht. Konsequenz: Wir wiegen uns in falscher Sicherheit.