Seit der Coronakrise blicken alle Augen auf die Situation in den Krankenhäusern, die allerdings schon vorher nicht besonders gut aussah. Die jahrelangen Warnungen von Pflegekräften wurden ignoriert, Personalmangel und Zeitdruck hingenommen. Jetzt werden die Krankenhäuser noch dringender gebraucht als zuvor – und obwohl die Beschäftigten ihr Bestes geben, ist die Personalsituation angespannt. Am Universitätsklinikum Jena (UKJ) habt ihr Euch in dieser Situation entschieden, einen offenen Brief an die Klinikleitung und die landespolitisch Verantwortlichen zu verfassen. Warum?
Im Zuge der Coronakrise mussten wir feststellen, dass es in unserem Klinikum eine sehr intransparente Kommunikation mit den Beschäftigten an der Basis gibt. Darüber hinaus gibt es im aktuellen Krisenstab am UKJ keinerlei Beteiligung der Beschäftigten. Das war ein Hauptgrund für die Initiative. Eine zentrale Forderung des Briefes ist daher, dass Pfleger und Schwestern aus verschiedenen Bereichen und auch Ärzt*innen an diesem Krisenstab beteiligt werden: um eine transparente Kommunikation zu schaffen und wichtige Informationen für alle zugänglich zu machen. Und diese wichtigste Forderung wurde bereits erfüllt: Im Krisenstab sitzt seitdem eine Person aus der Pflege und eine Kollegin aus dem Personalrat, die Mitverfasserin des Briefes war.
Eine weitere Forderung des Briefes ist es, alle „elektiven Eingriffe“ bis auf Weiteres zu verschieben. Was bedeutet das?
Elektive Eingriffe sind etwas Planbares, das nicht auf Grund eines Notfalls durchgeführt wird. Zum Beispiel wenn nach einem Knochenbruch im Arm das eingesetzte Metall wieder entfernt wird. Aber auch solche Eingriffe bergen immer das Risiko, dass etwas schief geht und der Patient auf die Intensivstation muss und dort ein Bett belegt. Um genau das zu vermeiden, sollten solche Eingriffe jetzt ausgesetzt werden. Das Metall lässt sich beispielsweise auch ein halbes Jahr später entfernen, ohne dass es lebensbedrohliche Risiken für den Patienten birgt. Wenn Elektiveingriffe ausgesetzt werden, gibt es einerseits mehr Betten auf der Intensivstation und andererseits wird dadurch Personal frei, dass dort eingesetzt werden kann – und dass zudem auch Zeit benötigt, um eingearbeitet zu werden.
Nach dem letzten Wochenende war das Operationssaal-Programm für Montag, den 16.3. aber voll verplant. Das heißt, alle 28 Operationssäle, die im Uniklinikum Jena zur Verfügung stehen, sollten komplett ausgelastet werden. Zwar hat die Klinikleitung beschlossen, alle Operationen unter Vorbehalt zu planen und erst am Montag zu entscheiden, ob sie stattfinden sollen oder nicht. Letztlich wurden aber fast alle OPs an diesem Tag durchgeführt, wie schon gesagt immer mit dem Risiko, dass dabei etwas hätte schiefgehen können. Inzwischen wird die OP-Kapazität am UKJ allerdings Schritt für Schritt heruntergefahren. Von den 28 OP-Sälen sind nach ein paar Tagen immerhin sieben frei. Innerhalb des Klinikums wird das unterschiedlich gehandhabt: Es gibt Abteilungen, die ihre Patienten vorbildlich abbestellt haben und andere, die das nicht tun.
Warum führen die Krankenhäuser die OPs weiter durch, obwohl sie wissen, dass dann Intensivbetten für Notfallpatient*innen nicht zur Verfügung stehen?
Es ist wohl noch nicht im Bewusstsein der Leute angekommen, dass es eine Krise gibt und eine stärkere Belastung auf die Krankenhäuser zukommt. Deswegen ist es notwendig, von Seiten der Beschäftigten Druck aufzubauen. Am Dienstag hat unser Krisenstab noch einmal getagt und alle Abteilungen aufgefordert, das OP-Programm soweit wie möglich zu reduzieren. Nur Tumoreingriffe oder bestimmte lebensnotwendige Operationen sollen noch durchgeführt werden. Das läuft jetzt an. Es hat aber viel zu lange gedauert. Ich denke, dass das eine Wirkung von unserem Brief ist. Am Montag lief der Betrieb noch ganz normal weiter und erst seit Dienstag werden diese Forderungen umgesetzt. Am Wochenende haben wir auch mit Vertreter*innen der Landesregierung Kontakt aufgenommen. Ich denke, dass aus dem Ministerium entsprechender Druck aufgebaut wurde.
Warum braucht es diesen Druck? Warum machen die Kliniken das nicht von selbst?
Ein großes Problem ist für die Kliniken natürlich die Finanzierung. Die Krankenhäuser bekommen nur die Operationen bezahlt, die sie durchführen. Räumen sie nun Betten frei oder sagen OPs ab, ohne dass die Betten direkt belegt werden, dann fehlen ihnen Einnahmen. Das ist das große Problem in der Krise. Daher war es eine zentrale Forderung von verschiedenen Seiten, dass das Gesundheitsministerium in Berlin die Kostenausfälle bezahlt. Wenn es diese Zusage nicht gibt, ist eine Reduzierung des Programms nicht möglich. Dahinter steht aber natürlich das grundlegende Problem einer Finanzierung durch das Fallpauschalensystem mit den DRGs1, die permanenten Kostendruck aufbauen. Dieses System hat dazu geführt, dass die Krankenhäuser ihre Betten soweit reduziert haben, dass für solche Krisen keine Reserven vorhanden sind. Denn leerstehende Betten bringen den Krankenhäusern keine Erlöse, sondern kosten Geld, das im DRG-System nicht erstattet wird. In der aktuellen Krise zeigt sich, was die Ökonomisierung im Krankenhaus bewirkt hat.