Am 23. Juli 2023 finden in Spanien Parlamentswahlen statt. Nach dem schlechten Ergebnis bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai hatte der sozialdemokratische Präsident Pedro Sánchez die für Dezember geplanten Wahlen vorgezogen. Dies erzeugt großen Druck auf die linken Parteien, die gerade erst begonnen haben, sich unter der Führung der linken Arbeits- und Sozialministerin Yolanda Díaz in der Plattform Sumar neu zu formieren. Die Umfragen sagen keine guten Ergebnisse für die Initiative voraus und nicht wenige sprechen vom Ende einer politischen Ära, die mit den 15M-Protesten im Jahr 2011 begonnen hatte. Wir sprachen mit den Partei-Aktivist*innen Laura Carenas Martínez und Jorge Sola über die Krise der Linken und ihre Organisierungserfahrungen der letzten zehn Jahre.

Alle waren von der Ankündigung von Sánchez überrascht. Wie kam es zu den vorgezogenen Wahlen?

Laura: Noch in der Wahlnacht ist es der konservativen Partido Popular (PP) gelungen, die Interpretation durchzusetzen, dass sie ganz Spanien gewonnen habe. Dabei handelte es sich ja nur um regionale Wahlen. Gegen diese Deutung anzukämpfen, wäre schwierig gewesen. Darum hatte Pedro Sánchez Recht damit, zu sagen: „Wir halten jetzt echte Wahlen ab und dann werden wir das erstmal sehen“. Außerdem wusste er, dass dieser Schritt die Chancen seiner Ministerin Yolanda Díaz und ihres Konkurrenzprojektes Sumar verringern würde. Mit der vorgezogenen Wahl hat er nicht nur die Rechten und die Rechtsextremen kalt erwischt, die gerade damit beschäftigt sind, die Kommunal- und Regionalregierungen zu verhandeln, sondern auch seine linke Gegenspielerin.

Aktuelle Umfragen zeigen sowohl für die sozialdemokratische PSOE als auch für Sumar schlechte Ergebnisse. Dabei war die linke Regierungsbeteiligung nach allgemeiner Einschätzung relativ erfolgreich. Warum spiegelt sich das nicht in der öffentlichen Meinung wider?

Jorge: Der Rechten ist es gelungen, den Schauplatz der politischen Debatte zu verschieben. In den sozialen Fragen, in der Beschäftigungs- und Sozialpolitik, dem Wirtschaftswachstum oder der Energiekrise hat die Regierung inmitten einer Pandemie bemerkenswerte Erfolge erzielt. Doch diese Themen wurden in den Hintergrund gedrängt. Die Debatte wurde auf ein komplexes Gemisch diffuserer bzw. „kultureller“ Themen verlagert, die mit einem weit verbreiteten Gefühl der Unsicherheit zusammenhängen: Den Bezug auf den spanischen Nationalismus, die Abwehr feministischer Fortschritte, die Relativierung des Klimawandels etc. Der Linken ist es nicht gelungen, diese Stimmung einzufangen und anders zu artikulieren.

Heißt das, die linken Parteien hätten in der Regierung gar nichts besser machen können?

J: Zu behaupten, wir hätten verloren, weil wir in der Regierung nicht links genug agiert haben, ist nicht sehr überzeugend. Und es ist ehrlich gesagt eine Minderheitenmeinung. Das Problem ist ja nicht einfach, dass wir unter linken Wähler*innen Stimmen verloren hätten, oder dass Menschen zu einer radikaleren linken Option abgewandert wären. Sondern dass sie für das Projekt der Rechten gewonnen wurden. Natürlich, man hätte eine noch ehrgeizigere Sozialpolitik verfolgen können. Aber das heißt nicht, dass man damit jenen Teil der Bevölkerung stärker politisch aktiviert, der jetzt rechts wählt oder gar nicht wählen geht. So einfach funktioniert das nicht.

 

L: Ein großes Problem der Linken ist, dass sie nur darauf fokussiert, wie sich die unteren Einkommensschichten mobilisieren lassen und glaubt, damit gewinnen zu können. Das ist ein Irrtum. Nicht einmal die ärmsten Menschen halten sich selbst für arm, deshalb sind Botschaften und Konzepte, die allein auf sozial Marginalisierte zielen, nicht hilfreich. Vox hingegen hat in diesen Schichten exponentiell zugelegt. Sie haben die Leute nicht als Hilfsempfänger und Marginalisierte, sondern als Patrioten angesprochen und ihnen damit ein anderes Gefühl vermittelt. Auch der damalige kometenhafte Aufstieg von Podemos hing mit diesem Faktor zusammen: Die Partei hatte den klassischen linken Diskursrahmen verlassen und die gesellschaftliche Mehrheit angesprochen. Sie richtete ihre Botschaft nicht an die Schwachen, sondern an die, die die Nase voll haben und die müde und erschöpft sind, und das ist ein viel größeres Kollektiv. Genervt und müde können alle sein, unabhängig von ihrem Einkommen.

 

J: Der Fall Podemos zeigt aber auch: Es geht nicht nur um den Diskurs selbst, sondern auch um den politischen Kontext, in dem er entsteht. Nach der Wirtschaftskrise 2008 war es möglich, den Diskurs „Normale Leute gegen Elite“ im Alltag zu verankern. In der jetzigen Situation funktioniert das nicht mehr, es ist als ob sich die Regeln des Spiels geändert hätten. Für die Linke ist es viel komplizierter, im neuen Szenario mitzuspielen, vor allem, wenn sie weiterhin die alten Rezepte verwendet. 

Aber mit dem Eintritt von Podemos in die Regierung hat sich nicht nur die soziale, sondern auch die politische Situation gewandelt, oder?

L: Die hat sich schon vorher verändert. Es gibt einen entscheidenden Moment – um noch einmal die symbolische Ebene der materiellen Ebene gegenüberzustellen –, für den Podemos bis heute bezahlt. Das war der Moment, als Pablo Iglesias, der langjährige Generalsekretär von Podemos und seine Partnerin, die Podemos-Politikerin und jetzige Gleichstellungsministerin Irene Montero, in eine Villa mit Swimmingpool gezogen sind. Das war kein großes materielles Problem, eine Madrider Stadtwohnung hätte sie vielleicht genauso viel oder sogar mehr gekostet. Aber die Villa repräsentierte genau das, wogegen sie kämpften. Und gegen die Kritik haben sie sich genauso gewehrt wie die Elite: „Es ist mein Geld, ich habe es ehrlich verdient und kann damit machen, was ich will“. Natürlich kannst Du das, Genosse, aber das Problem ist, dass du nun eine Lebensweise verkörperst, die du vorher moralisch verurteilt hast. Sicherlich ist niemals nur ein Augenblick entscheidend, aber in diesem Moment funktionierte die Erzählung „Normale Leute gegen die Elite“ nicht mehr und es trat die große Enttäuschung ein, der Eindruck „Ihr seid genauso wie alle anderen“.

 

J: Es ist schwierig, den Außenseiterdiskurs aufrechtzuerhalten, wenn man in die Regierung eintritt, selbst wenn es nur eine Stadt-Regierung ist. Ein Diskurs hat keine universelle Gültigkeit, er funktioniert in einem Kontext und in einem anderen nicht mehr. Es gibt einen gewissen Mangel an Anpassung oder taktischer Flexibilität in der Kultur der Linken, an Bereitschaft, sich zu verändern.

Stellt die neue Plattform Sumar nicht genau das dar? Eine Anpassung an den sozialen und organisatorischen Wandel?

J: Ja, das Kalkül von Yolanda Díaz basiert teilweise auf der Analyse, dass Podemos als Organisationsmodell erschöpft ist und wir eine andere Art von Strategie brauchen. Es geht um die Schaffung eines übergreifenden Diskurses und einer möglichst breiten Koalition. In dieser Hinsicht ähnelt Sumar dem ursprünglichen Projekt von Podemos. Aber Sumar schlägt keine aggressiven und anklagenden Töne mehr gegen die Elite an. Der Ton ist sozial versöhnlicher und hat sogar einen gewissen technokratischen Anstrich, der auf politische Wirksamkeit zielt.

Wir haben gerade darüber gesprochen, dass es die Emotionen sind, die mobilisieren. Und jetzt haben wir eine zentrale politische Figur, die für das Technokratische steht. Wie passt das zusammen?

J: Die Stärke von Yolanda Díaz ist, dass sie Sicherheit ausstrahlt: „Ich weiß, wie die Dinge laufen“. Es geht weniger um den konkreten Erfolg ihrer Arbeitsmarktreform, sondern darum, dass sie ein Bild von Managementkompetenz und einer Abkehr vom Sektierertum vermittelt, eine Bild des Dialogs und des Zuhörens.

 

L: Damit präsentiert sie sich als Antithese zu Pablo Iglesias, bis hin zu ästhetischen Fragen. Während Iglesias in einem alten T-Shirt zum Kongress kommt, gibt sie sich als elegante Frau, die sich angemessen zu kleiden weiß. Dem Radikalismus von Pablo Iglesias stellt sie Pragmatismus und „gesunden Menschenverstand“ gegenüber, seiner Regierungsunfähigkeit das Bild einer Frau, die weiß, wie man die Sachen anpackt.

Wir sprechen jetzt nur von den Führungsfiguren – gehört da nicht mehr dazu?

L: Heutzutage gibt es in Spanien keine Möglichkeit mehr, über das politische Projekt jenseits bestimmter Persönlichkeiten nachzudenken. Das scheint mir eine der wesentlichen negativen Folgen des vergangenen politischen Zyklus zu sein. Es ist auch eine Folge der politischen Organisationen der letzten Jahre, die genauso lange bestehen wie ihre Führung. Auch in Bezug auf den Aktivismus in den Nachbarschaften gibt es einen großen Unterschied zwischen der klassischen Linken wie Izquierda Unida und der „neuen Politik“. Das Verständnis von politischer Partizipation ist bei den neuen Parteien anders, sei es Podemos, Ahora Madrid, Más Madrid oder Sumar. Es gibt zwar eine starke lokale Präsenz in den Stadtvierteln, aber letztlich ist diese Politik stark auf institutionelles Handeln und am Ende auf Wahlen ausgerichtet, weniger auf die Beteiligung z.B. in Nachbarschaftsräten. Sie denken Aktivismus anders als bei der Izquierda Unida, wo es stärker darum ging, im Viertel präsent zu sein, Versammlungen, Kundgebungen und Feste zu machen. Durch die neuen Formen entstehen weniger stabile Beziehungen unter den Menschen und damit auch wenig dauerhafte politische Strukturen oder nachhaltiger Aktivismus.

 

J: Es ist völlig unklar, wie sich Sumar organisatorisch entwickeln wird. Es ist zu befürchten, dass die Plattform die gleichen Fehler macht wie damals die „neue Politik“. Die hat es eben nicht geschafft, Führungsebene und Basis, sowie die politischen Kader dazwischen miteinander zu verbinden und eine organische, beratende, kontrollierte und ausgewogene Arbeitsweise zu fördern. Gleichzeitig wird Yolanda Díaz wohl nicht so freie Hand haben wie früher Pablo Iglesias oder Íñigo Errejón. Sie muss mit einer Koalition sehr unterschiedlicher Organisationen verhandeln, die nicht unbedingt daran interessiert sind, dass Sumar sich als eigenständige Partei entwickelt, weil das mit eigenen Interessen kollidieren könnte. Es ist also eine recht merkwürdige Situation und die Zukunft ist extrem ungewiss.

Ihr sprecht von einem Verlust im Verhältnis zur eher klassischen linken Politik, wie sie etwa von der IU vertreten wurde. Aber die neue Politik, die mit der 15M entstand und später ihre eigenen Organisationen hatte, hat ja auch auf einen Mangel in dieser alten Politik reagierte, der etwas Neues notwendig machte. Wie habt ihr das erlebt?

J: Wir waren viele Jahre lang in der IU aktiv. Als die 15M-Proteste aufkamen – und auch schon vorher – gab es eine Gruppe in der Partei, die generationelle Erneuerung einforderte. Sie wollte mehr interne Demokratie und einen Wandel, der dieser Mobilisierung gerecht wird. Nicht nur in ihrem Diskurs, in ihren Forderungen, sondern auch in ihren Vorstellungen, ihren Slogans, ihrer Gefühlswelt. 15M hat ein Maß an Unterstützung erreicht, das wir nie zuvor erreicht hatten. Da genügte es nicht, einfach nur zu wiederholen, was wir unser ganzes Leben lang schon gesagt und getan hatten. Diese Auseinandersetzung zwischen den Generationen hat sich damals zugespitzt. Als die Mobilisierungen der 15M im Sommer 2013 nachließen, kam außerhalb und innerhalb der Izquierda Unida die Idee auf, eine Kandidatur zu initiieren, die eine Lücke im politischen Feld füllen konnte. Die Umfragen zeigten ein Potenzial für einen ideologisch „übergreifenden“ Akteur. Das war schließlich die Idee von Podemos, obwohl bald klar wurde, dass es in Podemos auch eine andere, "linkere" Kraft gab. Wir in der IU schauten damals auf Podemos wie auf eine Party, zu der uns unsere Eltern nicht gehen ließen. Dennoch kämpften wir für die Erneuerung der IU.

 

L: Uns wurde klar, dass es diese Erneuerung der IU nicht geben würde, als wir als Strömung zum ersten Mal eine interne Wahl gewannen und die Strukturen trotzdem nicht verändern konnten. Weil die Macht ganz woanders lag. Also haben wir schließlich beschlossen, die IU zu verlassen. Aber wir sind nicht in einen luftleeren Raum gegangen. Es war eine Situation des politischen Aufbruchs und wir haben uns dann an Ahora Madrid auf kommunaler Ebene und Podemos auf regionaler Ebene beteiligt.

Also hat die Gründung einer neuen Organisation letztlich die Erneuerung einer Linken im breiten Sinne ermöglicht?

J: So einfach ist es nicht. Die Vorstellung, dass man die Laster und die Trägheit einer älteren Organisation allein dadurch loswird, dass man eine von Grund auf neue Organisation gründet, hat sich als illusorisch erwiesen. Der Fall von Podemos zeigt, dass es sehr schwierig ist, etwas Besseres zu schaffen. Es besteht ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zwischen der Machtkonzentration in den Führungsfiguren und Leitungsebenen und der Schaffung einer formalen Organisation, die die Macht auf andere Ebenen überträgt. Führungspersonen, die zu Beginn Macht anhäufen, geben sie nicht so leicht wieder ab. Zudem agieren sie kurzsichtig und versäumen es, sich zu fragen: Was passiert, wenn ich nicht mehr die Macht habe oder wenn das Führungsteam gespalten ist und Konflikte aufkommen, ohne dass es Regeln gibt, um sie zu kanalisieren? Die Folge ist, dass unter einem demokratischen Anschein, etwa durch digitale plebiszitäre Mechanismen wie Vorwahlen, etwas entsteht, was man die „Tyrannei fehlender Strukturen“ nennen könnte. Es besteht ein Anreiz, die Informalität nicht zu überwinden, und das ist schädlich für die demokratische Organisation.

 

L: In der neuen Politik werden solche formalen Strukturen per se abgelehnt. Obwohl es zum Beispiel kollektive Führungsgremien gibt, ist deren Funktion eher kosmetisch. Es gibt keinen Raum für eine offene und aufrichtige Debatte. Und es fehlen die Verbindungen zu den Zwischenebenen und der Basis der Organisation, so dass die Gremien weder ein Kontrollmechanismus sind, noch ihrerseits kontrolliert werden. Die Ausrede war immer, dass es keine Zeit gibt, die Organisation selbst zu entwickeln. Immer stand irgendeine Wahl bevor, immer mussten wir für das unmittelbare Ziel arbeiten. Das ist eine systematische Fehlentwicklung, die auch bei Sumar zu beobachten ist. Ich persönlich vermisse die Strukturen der klassischen Organisationen und das Verständnis, dass Politik etwas Kollektives ist. Als Teil einer traditionellen Organisation hat man eine klare Vorstellung davon, dass sie weiterbestehen wird, dass sie größer und wichtiger ist als man selbst. Man ist Abgeordnete, weil das Kollektiv entscheidet, einem ein gewisses Maß an Vertrauen entgegenzubringen. Diese Vorstellung verschwindet mit der neuen Politik. Jede Person hat jetzt die mehr oder weniger implizite Vorstellung, dass sie dort ist, wo sie ist, weil sie es individuell verdient hat. Das scheint mir einer der schwersten Verluste zu sein, der alles verändert.

 

J: Wir müssen uns sehr genau anschauen, welche Art von Subjektivität in diesen Arten von Organisationen gefördert, geformt und belohnt wird. Manchmal sind sie eng mit einer neoliberalen Subjektivität - einer Kombination aus Individualismus und Narzissmus – verbunden. Aber diese Tendenzen sind gesellschaftlich so stark, dass es schwierig ist, ihnen zu begegnen.

Ihr malt ja ein ziemlich düsteres Bild.

L: Das Gute, das uns die neuen Organisationen gelehrt haben, ist der Versuch, mehr Menschen zu erreichen ohne das Wesentliche zu verraten. Dass man versuchen muss, eine Mehrheit zu erreichen, auch um den Preis, seinen Diskurs zu vereinfachen oder seine Terminologie zu ent-radikalisieren. Die Linke vom Typ Izquierda Unida hat manchmal mehr Wert darauflegt, das Wesentliche zu bewahren, als den Versuch zu wagen, zu gewinnen.

 

J: Trotz seines Scheiterns – das Organisationsmodell der neuen Politik war eine Antwort auf ein Problem, das wir nicht ignorieren können: Eine Form der Starrheit der Organisationen, eine gewisse Undurchlässigkeit nach außen, die nicht nur mit den Organisationen selbst zu tun hat, sondern mit der Welt, in der sie verortet sind. Wir müssen heute die Vorstellung von Aktivismus und seinen möglichen Formen revidieren. Es gibt Leute, die in ihrer Partei lesen gelernt haben – heute ist das so nicht mehr möglich. Wir müssen schauen, wie wir Menschen einbeziehen können, die nicht ihr ganzes Leben der Politik widmen wollen. Die neue Politik hat eine Antwort darauf gegeben. Diese Antwort hat nicht funktioniert, also bleibt die Frage offen.

Vielleicht macht auch eine Vielfalt der linken Organisationen diese Flexibilität möglich.

J: Ja, aber eine große Gefahr von Spaltungen ist die Zersplitterung, die das Überleben aller daraus hervorgegangenen Organisationen gefährdet. Aus einer solchen Krise ist es dann schwer wieder herauszukommen. Wir müssen deshalb Spaltungen so weit wie möglich vermeiden. Wir haben den Fall in die Bedeutungslosigkeit nicht erlebt, aber es hätte passieren können, als Podemos in Madrid auseinanderbrach. Deshalb ist es wichtig, sich immer wieder von den internen linken Konflikten zu distanzieren und sich klar zu machen, dass noch viele Kämpfe auf uns zu kommen. Die Linke ist wie ein Haus und die Genoss*innen, so sehr man sie auch hassen mag, sind für den Rest des Lebens die Nachbar*innen.

 

L: Gleichzeitig müssen wir die Idee stärken, dass wir auch aus verschiedenen Organisationen heraus gemeinsame politische Räume teilen können und dass die unbedingte Loyalität dem Projekt gilt. Aber natürlich, es gibt auch einen Teil in diesen Spaltungsprozessen, der sich nicht wiederherstellen lässt. Es wird Menschen geben, die nicht mehr mit Dir reden.

Jetzt treffen sich viele Aktivist*innen dieser Zeit in Sumar wieder. Sind all diese auch persönlichen Brüche vergessen? Oder haben sie sich nun daran erinnert, dass das gemeinsame Projekt letztlich das Wichtigste ist?

L: Vielleicht erinnert uns Sumar daran, dass es trotz der unterschiedlichen politischen Räume, in denen wir angekommen sind, weiterhin auch geteilte Visionen gibt. Einige legen mehr Gewicht auf grüne Politik, andere auf soziale Gerechtigkeit, wieder andere auf den Klassenkampf. Unsere Zuneigung, unsere Lebenserfahrungen erinnern uns daran, dass wir untereinander viel mehr gemeinsam haben als mit zufälligen Nachbar*innen, denen man im Aufzug begegnet. Das gilt umso mehr in einer Notlage wie jetzt, in der die extreme Rechte die Wahlen gewinnen könnte. Darum sagen wir jetzt: „Über alles Weitere diskutieren wir in ein paar Monaten“.

 

J: Dieses Gefühl der Dringlichkeit ist weit verbreitet. Das ist ein Stimmungswechsel gegenüber der Situation vor zehn Jahren, als Podemos entstand. Es gibt eine gewisse Enttäuschung, aber auch einen größeren Realismus der Erwartungen und das Wissen, dass wir Differenzen zurückstellen müssen. Die Plattform Sumar hat es geschafft, eine Gruppe von Organisationen zusammenzubringen, die sich noch nie zuvor zusammengeschlossen haben. Sie bietet realistische Hoffnung für einen sozialen Raum, der an Spaltung und Niederlagen gewöhnt ist: Es geht darum, einen grundlegenden Zusammenhalt zu erreichen und mit den Unterschieden zu arbeiten. Darum bieten wir ein Projekt an, das auf politischen Vorschlägen und nicht vorrangig auf ideologischen Identitäten beruht. In diesem Sinne ist Sumar ein Angebot für einen großen progressiven Raum –  nicht nur um die Rechte zu stoppen, sondern um für ein anderes Land zu kämpfen.

 

Das Gespräch führte Alex Wischnewski.