Trotz aller Appelle und Bemühungen, die verschiedenen Gruppierungen zusammenzuführen und damit die Partei DIE LINKE zu festigen und zu erhalten, spitzt sich die Krise der Partei zu. Die Bundestagsfraktion droht zu zerfallen. Zugleich verdichten sich die Anzeichen für die Gründung einer zweiten linken Partei mit Sahra Wagenknecht an der Spitze. Sollte dieser Entwicklung nicht Einhalt geboten werden, droht das Ende einer Partei mit sozialistischem Anspruch, deren Gründung als einer Partei links von der Sozialdemokratie eine große historische Errungenschaft darstellt. Dies gilt es zu verhindern. Die Frage ist, wie dies gelingen kann. Dabei gibt es ganz unterschiedliche strategische Ansätze, wobei sich vor allem die Konzepte der „disruptiven“ und „konstruktiven“ Erneuerung gegenüberstehen (siehe dazu die Kontroverse zwischen Candeias und Brie/Schwerdtner). Einigkeit besteht darin, dass es einer Neubegründung linker Politik bedarf. Denn angesichts der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse hat der Gründungskonsens, nämlich die Opposition zur neoliberalen Politik, die insbesondere auch von der SPD vertreten wurde, und damit das Eintreten für soziale Gerechtigkeit, seine identitätsstiftende Wirkung verloren. Soziale Gerechtigkeit ist nach wie vor eine zentrale Zielsetzung, doch haben sich die gesellschaftlichen Bedingungen erheblich verändert. Wir haben es mit tiefgreifenden Umbrüchen zu tun. Zu verweisen ist insbesondere auf die existenziellen ökologischen Herausforderungen, die die Art und Weise unseres Produzierens und Konsumierens grundsätzlich in Frage stellen. Die Wirtschaft und besonders die Industrie stehen vor großen Transformationsprozessen, infolgedessen auch die gesamte Infrastruktur. Die Pandemie, die Migrationsschübe, vor allem verursacht durch Krieg in vielen Teilen der Welt, der Krieg in der Ukraine selbst und der sich zuspitzende Kampf um die globale Hegemonie stellen uns vor zusätzliche Herausforderungen. Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit, Bekämpfung von Rassismus und jeglicher Form von Diskriminierung haben einen hohen Stellenwert. Dies alles zwingt zu einer Neubestimmung linker Politik.

Es gibt eine umfangreiche Diskussion zur Bestimmung der gesellschaftlichen Umbrüche. So spricht Klaus Dörre von einer ökonomisch-ökologischen Zangenkrise und betont dabei besonders die ökologischen Herausforderungen. Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze spricht von einer Polykrise und meint damit die Verschränkung verschiedenster Entwicklungen, die sich in Krisen zuspitzen – so die Finanzkrise, die Pandemie, den Klimawandel, den Krieg in der Ukraine. Häufig wird auf Gramscis Definition eines „Interregnums“ Bezug genommen. Damit wird eine Situation bezeichnet, in der die bisherige gesellschaftliche Entwicklung dem Ende zugeht, eine neue Gesellschaftsformation sich aber noch nicht herausgebildet hat. Freilich ist die Frage umstritten, ob wir uns in einer ebensolchen Situation befinden, oder ob das Interregnum beendet ist und wir es mit einem neuen, relativ stabilen Typ kapitalistischer Entwicklung zu tun haben, die als kapitalistische ökologische Modernisierung zu bezeichnen wäre. Zur Klärung bedarf es tiefgreifender Analyse und einer intensiven Debatte. Diesem Erfordernis trägt die Rosa-Luxemburg-Stiftung dadurch Rechnung, dass die Zeitdiagnose, also die Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung einen wesentlichen Schwerpunkt darstellt. Wie auch immer man die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen mag, klar ist, dass sich die kapitalistische Entwicklung in einer tiefgreifenden Krise befindet und das bisherige Produktionsmodell nicht mehr tragfähig ist. Damit besteht objektiv die Chance für eine andere Politik, die innerhalb kapitalistischer Verhältnisse ansetzt, zugleich aber über den Kapitalismus hinausweist, also für eine linke, für eine sozialistische Politik. Freilich ist die Linke bislang nicht in der Lage, diese Chance wirklich zu ergreifen und eine solche Politik mehrheitsfähig zu machen. Stattdessen artikulieren sich der Protest gegen die mit der krisenhaften Entwicklung verbundenen Widersprüche und Verschlechterungen sowie die Angst vor der unsicheren Zukunft mehrheitlich politisch rechts, wie man europaweit feststellen muss. 

Von der Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation sprechen eigentlich alle, aber mit sehr verschiedenen Ausprägungen und Gewichtungen der ökologischen und sozialen Dimension.

Linke Politik hat ihren Ausgangspunkt in den Widersprüchen der realen Entwicklung, muss also materiell begründet werden. „Eine zweifache Transformation steht auf der Tagesordnung – die der Wirtschaft unter den Stichworten von Klimaneutralität und digitaler technologischer Revolution und die der geopolitischen Verhältnisse. Die Frage ist nicht, ob sich diese Transformationen vollziehen, sondern nur, wie und in wessen Interesse“ (Bierbaum/Brie im ND). Von der Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation sprechen eigentlich alle. Dabei gibt es aber sehr verschiedene Ausprägungen mit unterschiedlicher Gewichtung im Hinblick auf die ökologische und soziale Dimension. Bei den einen dominiert die Klimafrage, bei anderen wird die soziale Frage in den Vordergrund gestellt. Denjenigen, die die Klimafrage und damit die ökologische Dimension in den Vordergrund stellen, wird zuweilen der Vorwurf gemacht, sie wollten grüner als die Grünen sein, während umgekehrt diejenigen, die die soziale Frage in den Mittelpunkt stellen, zuweilen als sozial konservativ abgestempelt werden. Dies gilt besonders für das sogenannte Wagenknecht-Lager. Sowohl bei der „Progressiven Linken“ als auch in der Initiative für eine disruptive Erneuerung werden Positionen, die als linkskonservativ bestimmt werden, ausgegrenzt. Bei aller berechtigten Kritik an Sahra Wagenknechts Positionen, insbesondere im Hinblick auf die Migration, wird so das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Auch wenn sich Wagenknecht selbst als linkskonservativ bezeichnet, darf eine solche Kennzeichnung nicht zur Ausgrenzung führen, fühlen sich doch dadurch wesentlich größere Teil der Partei betroffen. Für sie geht es darum, wie im Zuge der tiefgreifenden Transformationsprozesse die Interessen der Lohnabhängigen verteidigt werden können. In diese Richtung weist im Übrigen auch die jüngste Stellungnahme des Ältestenrats der Partei DIE LINKE. 

Gute Konzepte reichen alleine nicht aus. DIE LINKE muss sich in die Auseinandersetzung um die Veränderung unserer Produktions- und Lebensweise einbringen.

Anstatt gegenseitiger Ausgrenzung bedarf es der inhaltlich-politischen Debatte. Die gesellschaftlichen Umbrüche sind derart, dass soziale und ökologische Dimension nicht gegeneinander ausgespielt dürfen, sondern zusammengedacht werden müssen. Die ökologischen wie sozialen Herausforderungen lassen sich im Rahmen einer kapitalistischen Entwicklung nicht bewältigen. Die Linke muss sich daher als Protagonist einer umfassenden und tiefgreifenden Transformation mit sozialistischer Perspektive profilieren. Dies bedingt, dass die inhaltlich-politische Debatte intensiviert und die ja vorhandenen Ansätze und Konzepte gerade auch im Hinblick auf Wirtschafts- und Industriepolitik weiterentwickelt werden. Dabei spielt die Demokratisierung der Wirtschaft eine zentrale Rolle. Freilich reichen gute Konzepte alleine nicht aus. Vielmehr ist es notwendig, dass sich DIE LINKE in die gesellschaftliche Auseinandersetzung um die Veränderung unserer Produktions-und Lebensweise einbringt und dabei die Sorgen und Ängste der Bevölkerung politisch aufgreift. Es geht um konkrete Projekte, in denen die notwendige ökologische Umstellung mit der Verteidigung der Interessen der Lohnabhängigen verbunden wird. Der Bezug zu den Gewerkschaften ist zentral. Auf der von der Stiftung organisierten Konferenz „Strategien konstruktiver Erneuerung“ wurde dies insbesondere am Beispiel der Stahlindustrie illustriert. Dabei geht um die Umstellung der Produktion mit Wasserstoff als zentralem Energieträger. Ohne öffentliche Unterstützung ist dies nicht zu leisten. Vor allem aber muss dieser Prozess von der Belegschaft und den Gewerkschaften getragen werden. Dabei kann die Partei politisch unterstützend aktiv sein und Impulse geben. Ähnlich verhält es sich mit der Automobilindustrie, wo sich etwa der Gesprächskreis „Zukunft Umwelt Auto Mobilität“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung entsprechend engagiert. 

Entscheidend ist die Klassenfrage. Linke Politik muss aus der Sicht der Lohnabhängigen erfolgen. Grundsätzlich ist dies für große Teile der Partei auch Konsens. Gleichzeitig wird aber auch beklagt, dass es der LINKEN am Klassenkompass fehle. Doch auch hier gibt es unterschiedliche Ausprägungen und Gewichtungen. Das zeigt sich etwa am Konzept der „verbindenden Klassenpolitik“. Insoweit damit die Überwindung der fragmentierten Klasse der Lohnabhängigen intendiert ist, ist es eine gute Grundlage für die Politik der Linken, zumal damit wichtige Konzepte wie etwa der Entwurf eines neuen "Normalarbeitsverhältnis" verbunden sind. Wenn allerdings, wie es eben oft auch geschieht, darunter alle Kämpfe gegen Diskriminierung welcher Art auch immer subsumiert werden, dann droht es beliebig zu werden. Hier besteht zweifellos Diskussionsbedarf. Dabei muss auch der Frage nachgegangen werden, warum dieses Konzept strategisch nicht das gebracht hat, was man davon erwartet hatte. 

Große politische Unterschiede gibt es nach wie vor in der für die Partei existenziellen Friedensfrage. Zwar sind die Beschlüsse des Parteivorstandes im Hinblick auf das Nein zu Waffenlieferungen und für Abrüstung eindeutig, doch eine wirklich gemeinsame Position zum Krieg in der Ukraine gibt es nicht. Trotz einiger Bemühungen ist es nicht gelungen, die Partei als Friedenspartei zu profilieren. Daran muss dringend gearbeitet werden. Vor allem geht um die Verständigung zur Einordnung des Ukraine-Krieges in die hegemonialen Auseinandersetzungen. Wir erleben gegenwärtig einen Kampf um die globale Hegemonie, in dem die NATO und der Ukraine-Krieg im Interesse der USA instrumentalisiert werden. Dabei geht es vor allem gegen China, wie die NATO-Beschlüsse der letzten Jahre zeigen. Dagegen muss sich die Linke entschieden positionieren. Sie muss sich für eine neue Initiative in der Entspannungspolitik einsetzen. Es gilt die Friedensbewegung zu stärken und dabei auch das Bündnis mit den Gewerkschaften zu suchen. Die gewerkschaftliche Friedenskonferenz Ende Juni, gemeinsam organisiert von der IG Metall Hanau und der Rosa-Luxemburg-Stiftung, war ein großer Erfolg, an den angeknüpft werden sollte. Es muss aber auch deutlich gemacht werden, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Frieden und sozial-ökologischer Transformation gibt und es daher einer Zusammenarbeit zwischen Friedens- und Klimabewegung bedarf.

Die Partei DIE LINKE hat eine Chance, wenn sie sich strategisch auf Kernpunkte, wie sie hier skizziert sind, einigt und eine integrative und keine ausgrenzende Politik verfolgt. Es ist der Weg der konstruktiven Erneuerung. Dazu müssen Formate gefunden werden, in denen alle Gruppierungen vertreten sind. Die Ende Juli durchgeführte Konferenz „Strategien konstruktiver Erneuerung“ war ein erster, freilich noch unvollständiger Schritt. Dem müssen weitere folgen. 

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