Mit der Frage, wie Geflüchtete in Städten ankommen können, in denen ein Mangelan bezahlbarem Wohnraum herrscht, müssen sich Stadtregierungen spätestens seit 2015 intensiv beschäftigten. Welche Art von Wohnraum in kurzer Zeit wo gebaut werden kann, ist umkämpft. Neubauvorhaben treffen vielfach auf Widerstände von lokalen Nachbarschaften. Darin werden neue Konfliktkonstellationen sichtbar, in denen sich gegensätzliche Interessen, aber auch ein wachsender Verdrängungsdruck in den Kiezen abbilden.

Wohnraumkrise für Geflüchtete

Die Wohnungskrise ist in vielen Städten Folge einer neoliberalen Stadtpolitik, die riesige kommunale Wohnungsbestände privatisiert sowie soziale Absicherungen und städtische Verwaltungen so geschrumpft hat, dass auch Regulierungen wie Mietpreisbremsen nicht mehr durchgesetzt werden können. Auf dem Mietmarkt finden Menschen, die keine Spitzengehälter verdienen, derzeit kaum Wohnraum. Die Lage von Geflüchteten ist noch prekärer: Viele sitzen auch aufgrund des Mangels an Wohnraum nach wie vor in Gemeinschaftsunterkünften fest. Die dort herrschende Enge und die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten erzeugen Konflikte, die durch die Profitorientierung mancher Unterkunftsbetreiber und die Reglementierung durch Security-Firmen weiter verschärft werden. Die Lager entfalten eine »gefährliche soziale Wirkung« (Lebuhn 2016) und die psychosoziale Situation ist für Menschen mit und ohne posttraumatische Belastungen problematisch. Wann und wie (schnell) Menschen aus den Lagern herauskönnen, wird durch eine Vielzahl von Gesetzen auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene reguliert (El-Kayed/Hamann 2018). In den Lagern leben Menschen zum Teil seit 2015 unter Wohnbedingungen, die für den Ausnahmefall gedacht waren. Es werden abhängig vom Bundesland Wohnflächen zwischen 4 und 7,5 Quadratmetern zugestanden, in geteilten Zimmern, in denen keine Privatsphäre herrscht. Allein in Berlin sind derzeit knapp 22.000 Menschen in Unterkünften statt in Wohnungen untergebracht und jeden Monat kommen 650 Geflüchtete neu an.1

Die Aussagen von Geflüchteten zu ihrer eigenen Lage finden nur selten den Weg indie öffentliche Debatte. In Berlin wurden in Expertengesprächen mit Geflüchteten unter der Leitung der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Eckpunkte für eine »gelungene Integration« festgelegt. Der lange Verbleib in den Unterkünften und die Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, wurden darin alsdas zweitwichtigste Integrationshindernis genannt (noch vor der Arbeitssuche und nach dem unklaren Aufenthaltsstatus)2. Dass eigener Wohnraum Autonomie und Normalität ermöglicht und ein Grundbedürfnis von Geflüchteten ist, haben auch andere Untersuchungen festgestellt (vgl. z. B. Vertovec et al. 2017).

Das zeigt, wie wichtig es ist, dass möglichst schnell möglichst viele Menschen aus den Sammelunterkünften ausziehen können. Es ist die zentrale Weichenstellung und entscheidet mit darüber, ob das Ankommen gelingt. Doch allein in Berlin fehlen nach den Berechnungen des Senats rund 19.000 Wohnungen für wohnungslose Menschen, zu denen Geflüchtete gezählt werden. Es müssen also sehr schnell sehr viele Wohnungen errichtet werden.

Möglichkeiten des Neubaus von Wohnungen

Für den beschleunigten Neubau wurden zwei wesentliche gesetzliche Änderungen vorgenommen. Erstens wurde 2014 im Baugesetzbuch eine befristete Änderung eingeführt(§ 246 Absatz 10 BauGB), die es ermöglicht, auch Flächen zu bebauen, die nicht fürden Wohnungsbau ausgewiesen sind, wie etwa Gewerbegebiete. Hier dürfen aber nur »Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende« entstehen. Dieses sogenannte Flüchtlingsbaurecht schafft beschleunigte Baumöglichkeiten für eine spezifische Personengruppe. Richtige Wohnungen auch für andere Personengruppen können erst entstehen, wenn die Bebauungspläne geändert werden (Berliner Morgenpost, 10.9.2018). 

Von Bedeutung sind hierbei zwei Rahmenbedingungen: Erstens gilt diese Änderung der Baugesetzgebung nur bis Ende 2019. Zweitens ist sie im Sinne der »öffentlichen Belange« durchsetzbar, die mit »nachbarlichen Interessen« vereinbar sein sollen. Jedoch wird auch hier gewichtet: »Angesichts der nationalen und drängenden Aufgabe bei der Flüchtlingsunterbringung ist Nachbarn vorübergehend auch ein Mehr an Beeinträchtigungen zuzumuten (OVG Hamburg, Beschluss vom 12.1.2015 – 2 Bs 247/14)« (Bunzel 2015). Das bedeutet, dass Wünsche oder Forderungen aus den jeweiligen Nachbarschaften von staatlichen Stellen übergangen werden können. 

Eine zweite Gesetzesänderung beeinflusst die Qualität der neuen Unterkünfte. Die Änderung im Bundeshaushaltsgesetz sieht verbilligte Baumöglichkeiten nur für ganz bestimme Formen der Nutzung vor: wenn für Geflüchtete gebaut wird sowie wennes sich um sozialen Wohnungsbau oder soziale Infrastruktureinrichtungen handelt. Die Neubauten für Geflüchtete, bekannt als »Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge« (MUF) oder MUF 2.0, entsprechen dem Sozialwohnungsstandard. Viele Architekt*innen und wohnungspolitische Akteure kritisieren trotzdem eine Substandardisierung, in der Bauweise, der mangelhaften Ausstattung und den Grundrissen (vgl. Berner 2018). Zudem ist angesichts der Wohnungsknappheit unklar, wervon der Errichtung der zentral geplanten Bauten profitiert. So waren etwa in Berlin die ersten MUFs auf »scheinbar unerklärliche Weise [...] teurer als reguläre Neubauwohnungen« (ebd.). 

Es geht also einer-seits um eine Frage, diesich Stadtregierungenschon länger stellen müs-sen: Wie entsteht in den Großstädten schnell preiswerter, guter Wohnraum? Eine zweite wesentliche Frage, die sich daran anschließt, richtet sich an die gesamte Stadtgesellschaft: Wo ist Platz für neue Wohnungen für Geflüchtete? Die Anzahl städtischer Grundstücke ist auch durch die neoliberale Privatisierungswelle der 1990er und 2000er Jahre minimiert worden. Die verbleibenden Freiflächen sind umkämpft und selten ungenutzt.

Konflikte in den Nachbarschaften

Die Neubaupläne treffen auf lokale Nachbarschaften, für die die schnelle Unterbringung möglichst vieler Menschen in möglichst kurzer Zeit nicht unbedingt Priorität hat. Für die Nachbar*innen ist zentral, welche Verdrängungsprozesse ohnehin schon stattfinden und auf welche Weise sich die Nachbarschaft durch ein solches Vorhaben verändern wird. Zwar kann der öffentliche Versorgungsauftrag die nachbarschaftlichen Interessen übertrumpfen. Es stellt sichjedoch die Frage, welche Konflikte vor Ort entstehen, wenn die Nachbarschaft gegen den Bau einer Unterkunft für Geflüchtete ist. Um gegenwärtige und zukünftige Konflikte zu verstehen, ist es hilfreich, sich anhand zweier Fallbeispiele die Gründe näher anzuschauen, die von Nachbar*innen genannt werden, die sich gegen die Art oder Größe einer neuen Unterkunft für Geflüchtete aussprechen. Dabei wurde bewusst kein Beispiel aus einer kleineren oder mittelgroßen Stadt ausgewählt, wo der Druck auf dem Mietmarkt oft geringer ist und sich die Proteste häufiger in rassistischen »Nein-zum-Heim«-Kampagnen äußern, sondern mit Berlin und Hamburg zwei Großstädte mit sehr angespanntem Wohnungsmarkt. 

In Hamburg hat sich 2016 ein Dachverband der Initiativen für erfolgreiche Integration (IFI) gegründet. Darin haben sich Initiativen aus überwiegend wohlhabenden Stadtvierteln wie Klein Borstel, Eppendorf oder Neugraben-Fischbeck zusammengetan, die sich gegen die geplante Errichtung von Unterkünften für Geflüchtete wehren. Ihre Argumente sind: der Wunsch nach dem Erhalt von Naherholungsflächen, fehlende Infrastruktur für die plötzliche Aufnahme so vieler Menschen und die mangelnde Bürgerbeteiligung bei der Flächenauswahl sowie eine generelle Intransparenz des Auswahlverfahrens. Die Initiativen forderten als Konsequenz, weitere »Unterbringungsalternativen zu suchen« und »statt Provisorien [...] die Angebote an preiswertem Wohnraum in öffentlicher Hand [zu] erweitern und in Zukunft zu sichern«.3 In ihrem Protestschreiben fordern sie, Lösungen zu finden, »die von den Bürger*innen des Stadtteils und den Institutionen der Zivilgesellschaft getragen werden«. Der Verband plante 2016 einen Volksentscheid gegen den Bau von Großsiedlungen für Geflüchtete. Als Reaktion handelte die Stadt Hamburg mit ihm sogenannte Bürgerverträge aus,4 in denenein Mindestabstand zwischen den Bauten sowie eine Obergrenze von 300 Personen für die Unterkünfte festgelegt wurden. Zudem konnte der Verband mit den Spitzen der Regierungsparteien aushandeln, wie viele Unterkünfte pro Stadtteil gebaut werdenund wie transparent und partizipativ dieser Prozess vonstattengehen soll. Der Vertrag ist zwar nicht bindend für die Verwaltung, es muss jedoch jährlich im Stadtparlament über die Umsetzung berichtet werden.

In einer Nachbarschaft in Berlin, die weniger wohlhabend und wesentlich reicher an Migrationsgeschichten ist, gibt es einen gänzlich anders gelagerten Streit um den geplanten Bau von 500 Wohneinheiten für Geflüchtete. Eine Anwohnerinitiative hat sich in einem offenen Brief gegen die Errichtung der Wohnungen gewandt und nennt dafürwie in Hamburg vielfältige Gründe. Es wird der Wunsch formuliert, die Integration von Geflüchteten in den Kiez zu ermöglichen, zugleich aber auf die Gefahr der Verdrängung des ansässigen Gewerbes und den Verlust von Grünflächen hingewiesen. Zudem wird eine Umweltverträglichkeitsstudie eingefordert. Zentraler Kritikpunkt ist jedoch, dass bei der geplanten Anzahl von 500 Wohnplätzen von einer Doppelbelegung der Zimmer auszugehen sei, also eine Gemeinschaftsunterbringung statt »Wohnraum für Geflüchtete und Verdrängungsgefährdete« (Offener Brief 2019) geschaffen werde. Es wird gefordert, eine am Bedarf der Geflüchteten orientierte Infrastruktur aufzubauen und die Anwohner*innen an der Planung zu beteiligen. Der zuständige Bezirk gab daraufhin eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die in einem für die Nachbarschaft transparenten Verfahren zwei Varianten der Bebauung vorschlägt, wobei jedes Gebäu-de Platz für 250 Menschen bieten würde (Heiglmeir/Rock 2019). Diese Zahl ist jedoch weiterhin nur mit einer Doppelbelegung von Zimmern zu erreichen, die dem Unterbringungsstandard des Senats entspricht.

Konfliktkonstellationen

In Hamburg hat sich das Bündnis Recht auf Stadt zu dem drohenden Volksentscheid der Initiativen für erfolgreiche Integration (IFI) kritisch positioniert. Es greift dabei einerseits den »Notstandsurbanismus« der Stadt an, die Containerdörfer zur Unterbringung von Geflüchteten errichtet. Zugleich kritisiertdas Bündnis aber, dass der Volksentscheid unter dem Anschein direkter Demokratie genau diejenigen ausschließe, die am meisten betroffen sind: die nicht wahlberechtigten Geflüchteten. In zehn Punkten argumentiert das Bündnis, dass die »Not der Geflüchteten [...] keinen Aufschub« dulde, sondern »so schnell, so viel, so zentral, so hoch wie eben nötig und möglich« gebaut werden müsse. Die genannten Vorschläge der IFI seien dazu keine Alternative und ein Referendum würde lediglich »die deutsche Notstandshysterie anheizen«. Zudem zögen solche Kampagnen Rechtspopulisten und Rassisten an. Es gebe schließlich kein »Flüchtlingsproblem«, sondern ein Wohnungsproblem, und auch Geflüchtete hätten ein »Recht auf Stadt«. Eine »lokale Obergrenzen-Diskussion« sei zu vermeiden, da es, egal wo gebaut werde, immer Anwohner*innen geben würde, »die das für unzumutbar halten« (Recht auf Stadt Hamburg, 2016). 

In Berlin wurde der Anwohnerinitiative in der Bezirksverordnetenversammlung von der FDP entgegengehalten, eine solidarische Nachbarschaft könne auch 500 Menschen aufnehmen. Die Anwohner*innen entgegneten, dass sie nicht bereit seien, weiter ehrenamtlich staatliche Integrationsaufgaben zu übernehmen. Derzeit werden weitere Standorteim Bezirk geprüft; jeder Berliner Bezirk muss 1 000 Unterbringungsplätze schaffen. Das von den Bewohner*innen vertretene Baukonzept sieht Platz für 125 Geflüchtete vor, dafür aber Wohnungen für Menschen mit verschiedenen Hintergründen und eine Einbindung des von Verdrängung bedrohten lokalen Gewerbes, das zum Beispiel Ausbildungsplätze für Geflüchtete anbieten soll. Diese Pläne liegen jedoch auf Eis. Die Senatsverwaltung für Finanzen will nun das Grundstück von seiner landeseigenen Immobilienfirma, der Berlinovo Grundstücksentwicklungs GmbH (BGG), entwickeln lassen – eine Ankündigung, die die Sorge der Anwohner*innen vor einer Verdrängung des Gewerbes durch hohe Pachtpreise verstärkt (vgl. Jensch 2019). 

Aus den beiden Fallbeispielen Hamburg und Berlin, wo um den Neubau für Geflüchtete gerungen wird, lässt sich vor allem eins schließen: Es ist nicht einfach. Die Debatte verläuft quer zu den traditionellen politischen Lagern. Während die Anwohnerinitiativen in Hamburg von dem bewegungslinken Recht-auf-Stadt-Bündnis kritisiert werden, das für das möglichst schnelle Bauen von möglichst vielen Wohnungen eintritt, kommt die Anwohnerinitiative in Berlin aus einem ähnlichen Spektrum wie das Hamburger Recht-auf-Stadt-Bündnis und wird von der FDP fürseine Abwehrhaltung kritisiert. Jenseits von politischem Lagerdenken zeigt sich, dass Nachbarschaften in Städten, die seit Jahrzehnten den neoliberalen Stadtumbau erleben, unter starkem Verdrängungsdruck stehen. Entsprechend haben sie wenig Ressourcen, darüberzu sprechen, wie sich »so viel und so hoch wie nötig« bauen ließe. In den Stadtteilen, wo die Gewinner*innen des neoliberalen Stadtumbaus leben, werden Unterkünfte für Geflüchtete womöglich auch als Bedrohung der Grundstückswerte angesehen, was jedoch nicht laut geäußert wird. In anderen Nachbarschaften, wie im Berliner Beispiel, wird um solidarische Lösungen für alle gerungen. Die Kontroverse, wo neuer Wohnraum für Geflüchtete entstehen soll, zeigt eine komplexe Gemengelage von zum Teil entgegengesetzten Interessen und es entstehen Konkurrenz und Konflikte um die Nutzung geschrumpfter Ressourcen. Wer sich am Ende durchsetzt, hängt von den jeweiligen Machtverhältnissen ab.

Willkommensbedingungen

Doch wie ließe sich das Problem angehen? Welche juristischen, wohnungspolitischen und stadtgesellschaftlichen Bedingungen wären wichtig, um die urbanen Kieze unter den jetzigen Bedingungen willkommensfähig zu machen? 

Es ist notwendig, den »Notstandsurbanismus«, der seit 2014 Konzepte für die Unterbringung Geflüchteter leitet, hinter sich zu lassen und die damit geschaffenen Wohnbedingungen zu kritisieren. Auf Bundesebene müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen so verändert werden, dass beschleunigte Baurechtsverfahren nicht nur für standardisierte Unterkünfte, sondern auch für guten Wohnraum möglich sind. Kommunen, die Wohnungen für Geflüchtete schaffen, müssen beim Ausbau ihrer Infrastruktur unterstützt werden. Selbstverständlich benötigen mehr Menschen auch mehr Kita-, Schul- und Ausbildungsplätze. Sie erhöhen zudem den Bedarf an medizinischer Versorgung, einem gut funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr sowie an sozialen Begegnungsorten und Gewerberäumen. Dies erfordert ein Ende der Austeritätspolitik und eine staatliche Förderung der sozialen Infrastrukturen. Um nicht die Fehler des sozialen Wohnungsbaus der 1970er Jahre zu wiederholen und private Anleger mit riesigen Steuersubventionen für die Schaffung von temporär bezahlbarem Wohnraum zu belohnen (siehe Holm in diesem Heft), sollten die Förderprogramme vor allem kommunale Wohnungsbaugesellschaften stützen bzw. sollte die Mittelvergabe zumindest an die Gemeinwohlorientierung der Bauträger geknüpft sein. Staatliche Fördergelder sollten immer zu dauerhaften Belegungsbindungen führen. 

Auf der Landesebene müssen Alternativen zum »Notstandsurbanismus« entwickelt werden. Denn die Menschen können nicht wirklich ankommen, wenn ihre Wohnsituation immer nur temporär ist, zugleich aber ihr Recht auf Mobilität und freie Ortswahl durch die sogenannte Wohnsitzauflage eingeschränkt ist (vgl. El-Kayed/Hamann 2016). Umzäunte Unterkünfte, Wachschutz und Pförtner*innen, die Bewohner*innen im schlimmsten Fall reglementieren und terrorisieren, verschärfen diese Sondersituation (vgl. Flüchtlingsrat Berlin e. V. 2018, 11). Von daher braucht es staatliche Wohnkonzepte, die reguläre Mietverträge auch für geflüchtete Bewohner*innen vorsehen, statt neue Verträge für Betreiber von Gemeinschaftsunterkünften. Nur so erhalten Geflüchtete gleiche Mieterrechte und sind nicht der Willkür von Betreiberunternehmen ausgeliefert. 

Um in den Nachbarschaften Bedingungen zu schaffen, die ein gutes Ankommen der Geflüchteten ermöglichen, müssen Stadtregierungen den Verdrängungsdruck ernst nehmen, der auf den Anwohner*innen lastet, und dürfen das »Recht auf Stadt« der einen nicht gegen das der anderen ausspielen. Sie sollten vielmehr die Bereitschaft zur Solidarisierung fördern. Gleichwohl sind in den Debatten nicht alle Akteure gleich(-berechtigt). Die schon sichtbaren Akteure in Kiezen und Kommunen können versuchen, den Kreis der Beteiligten zu erweitern, die Geflüchteten selbst als Akteure ernst nehmen und ihre Stimmen stärker einbeziehen: Welche Wünsche haben Menschen nach der Flucht an ihre Wohnsituation? Wie können geflüchtete Bewohner*innen frühzeitig in die Planung einbezogen werden? Das erfordert auch einen (selbst-)kritischen Blick auf die Beteiligungsprozesse: Wer kann partizipieren (und wer nicht?) Wer gilt als Akteur, wer als Betroffene? Wer kann wie die eigenen Interessen artikulieren? Welche Berücksichtigung finden der Zeitdruck und die Notsituation von Geflüchteten? 

Schließlich ist es wichtig, nach Wohnformen und Lösungen zu suchen, die den unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung tragen. Welche Art des Wohnens schafft neue Stigmatisierungen und schlimmstenfalls Traumatisierungen? Kann es, wie in den Debatten vielfach behauptet, zu viel Migration für einen Stadtteil geben, und wenn ja, wie viel ist zu viel und wer bestimmtdas? Müsste nicht viel eher gefragt werden, welche zusätzliche Infrastruktur Menschen mit Fluchterfahrung brauchen und ob die bestehenden Angebote dies leisten können oder aufgestockt werden müssen? 

Letztlich stellt sich nicht mehr die Frage, ob sich die Städte und Nachbarschaften nach dem »Langen Sommer der Migration« 2015 (Kasparek/Speer 2015) verändern werden oder nicht, sondern die Frage, welche Bedingungen geschaffen werden müssen, um ein gutes Ankommen zu ermöglichen. Ein Ankommen, mit dem keine Verdrängung einhergeht, aber durchaus eine Veränderung des nachbarschaftlichen Lebens.

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