| ABC der Transformation: Revolutionäre Realpolitik
Revolutionäre Realpolitik I (von Michael Brie)
Es gibt einen quälenden Widerspruch, der viele Linke umtreibt: Sie wissen, wie notwendig und unverzichtbar grundlegende gesellschaftliche Veränderungen sind. Sie engagieren sich, weil es an elementarer Gerechtigkeit fehlt, weil Milliarden von Menschen kein würdiges Leben führen können, weil die kapitalistische Wachstumsmaschine in die ökologische Katastrophe führt, weil über die elementarsten Fragen nicht demokratisch entschieden werden kann, weil Menschen illegalisiert leben, weil Kriege ganze Gesellschaften zerstören. Aber real können sie nur wenig bewirken. Mehr noch: Selbst die radikalsten Autonomen handeln im Alltag oft »reformistisch«, gehen Kompromisse ein (und sei es bei der Arbeit, beim Einkauf oder Urlaub), die im Widerspruch zu den erklärten Zielen stehen. Gewerkschafter*innen wissen, dass nur ein grundlegender Umbau gute Arbeit und gutes Leben dauerhaft sichert, aber erreichen können sie vor allem Verbesserungen im Rahmen der gegebenen Strukturen – wenn überhaupt. Linke politische Parteien schreiben Sozialismus in ihr Programm und arbeiten in Regierungen vornehmlich an der mehr oder minder besseren Verwaltung des Status quo unter den Bedingungen von Standortkonkurrenz und Kapitaldominanz. Der revolutionäre Bruch mit den Eigentums- und Machtverhältnissen, mit der ganzen Art der gesellschaftlichen Entwicklung scheint überlebensnotwendig, und doch ist real nur so quälend wenig möglich und verkehrt sich dann noch oft ins Gegenteil. Und dies galt auch dort, wo der revolutionäre Bruch erreicht wurde – in den Ländern des »Realsozialismus« sowjetischer Prägung.
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