Endlich ist Bewegung in die Sache gekommen. Seit Mitte Januar gehen Hunderttausende gegen den Rechtsruck auf die Straße, zeigen ihren Protest gegen die extreme Rechte und stellen sich schützend vor die Demokratie. Nach Monaten und Jahren der Lähmung und der Resignation angesichts eines scheinbar unaufhaltsamen Aufstiegs der AfD in den Wahlumfragen, hat die Correctiv-Recherche den Knoten durchschlagen und treibt die Menschen zu lautem Protest gegen die weitere Rechtsverschiebung des Diskurses und der realen Politik auf die Straße. Wie lange, das bleibt abzuwarten, ebenso wie der Effekt auf die AfD und ihre Wahlaussichten.

Die Enthüllungen von Correctiv haben dabei inhaltlich nichts neues zu Tage gefördert. Jeder und jede die es wissen wollte, konnte seit Jahren von den Abschiebe- und Deportationsplänen der AfD wissen, die eben in der Regel nicht im Geheimen geschmiedet, sondern in Wort und Schrift von führenden Vertreter*innen dieser Partei immer wieder verkündet wurden. Das Verdienst der Correctiv-Leute ist es, diese Pläne anschaulich und auf den Punkt gebracht und ihnen den Touch eines Geheimplans verliehen zu haben, handelte es sich beim Potsdamer Treffen doch um ein privates, eher klandestines Treffen, mit einer illustren Schar an Teilnehmenden. Mit einem Mal wurde für viele Menschen deutlich, dass die Planungen der extremen Rechten auf ganz konkrete Menschen aus ihrem Umfeld oder gar sie selbst zielen, dass es keine abstrakten Planspiele, sondern konkrete Vorüberlegungen für Massenvertreibungen sind. Angesichts der aktuellen Umfragen für die AfD und der Schlagseite der öffentlichen Debatte wurde vielen klar, dass jetzt der Zeitpunkt für lauten Protest gekommen ist.

Der Boden wird bereitet

Dass die unter dem Stichwort „Remigration“ von Seiten der extremen Rechten seit Jahren verkündeten Vorhaben auf ein großangelegtes Vertreibungs- und Deportationsprojekt hinauslaufen, wurde aus antifaschistischen Kreisen immer wieder belegt. Die Aggressivität und Verächtlichmachung von großen Bevölkerungsgruppen als „Schmarotzer“, „Kriminelle“, „Vergewaltiger“, „Kulturfremde“ etc. hatte und hat auch die Funktion, Solidarität und Empathie mit diesen Gruppen zu minimieren, um sie problemloser so behandeln zu können, wie es die völkische Ideologie der extremen Rechten vorsieht. Nicht umsonst wird diese Form der Entmenschlichung von Seiten der AfD Woche für Woche in den Parlamenten praktiziert und die verbalen Entgleisungen fordern geradezu Taten, zumindest aber Planungen, wie man die scheinbar greifbar nahe politische Macht zur Verwirklichung der Fantasien nutzen kann.

Im Bundestag spricht der Abgeordnete Gottfried Curio regelmäßig vom „rechtswidrigen Import von Hundertausenden kulturfremder Kostgänger“ und behauptet, „Integration ist gescheitert, schon wegen der schieren Menge.“ Die wegen Rechtsterrorismusverdacht in Untersuchungshaft sitzende ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann bezeichnete Migrant*innen mehrfach im Bundestag als Krankheitsträger, die von der deutschen Bevölkerung isoliert werden müssten: „Weiter verweise ich auf eine Metaanalyse, über die das ‚Deutsche Ärzteblatt‘ am 23. Mai 2018 berichtete. Danach hat jeder vierte Migrant in Europa antibiotikaresistente Bakterien. (…) Nach logischem Menschenverstand wäre es (…) ein Wunder, wenn sich die einheimische Bevölkerung nicht ansteckt, wenn die Migranten unter ihr sind.“ Immer wieder werden Migrant*innen von AfD-Politiker*innen pauschal als „Kriminelle“, „Messermänner“ und „Vergewaltiger“ bezeichnet, die eine alltägliche Bedrohung für alle Deutschen darstellten. Kein Wunder also, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Kotré davon sprach, die angekündigte „Remigration“ sei kein Geheimplan, keine Drohung, sondern ein „Versprechen“.

Konkretisierung und Planung

Von Differenzierung, von der Absicht „nur“ gegenüber „illegal“ sich aufhaltenden Migrant*innen vorzugehen, ist hier keine Rede – immer geht es um die gesamte als fremd erklärte Gruppe. Und natürlich weiß man, dass die geplante Vertreibung nur mit Gewalt durchsetzbar ist. Diese müsse in Kauf genommen werden, will man zur erstrebten völkisch homogenen Nation zurück. Bei Höcke las sich das schon 2018 in seinem Interview-Buch so: „Vor allem eine neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszuhalten haben: Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muß aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen. (…) Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der ‚wohltemperierten Grausamkeit‘, wie es Peter Sloterdijk nannte, herumkommen. Das heißt, daß sich menschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden. Man sollte seitens der staatlichen Exekutivorgane daher so human wie irgend möglich, aber auch so konsequent wie nötig vorgehen.“ (Höcke, Nie zweimal in denselben Fluss, S. 254) 

Auch die Vertreibung und Deportation von Menschen, die sich für Geflüchtete engagieren, wurde von Höcke im selben Buch skizziert. Er spricht davon, dass „wir“ ein „paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“

Die AfD und ihr politisches Umfeld aus der extremen Rechten wollen also das, was sie seit Jahren immer wieder öffentlich verkünden, auch in konkrete Politik umsetzen. Es bedurfte offenbar der Correctiv-Recherche, diese schlichte Erkenntnis ins Massenbewusstsein zu heben.

Vom Konservatismus zur extremen Rechten

Der interessanteste Punkt der Correctiv-Recherche war demnach weniger der konkrete Inhalt als vielmehr das Setting, in dem diese Planungen besprochen wurden. Die Anwesenheit von neurechten Ideologen wie Martin Sellner oder verschiedenen AfD-Politikern ist wenig überraschend. Interessant dagegen ist die Teilnahme aus dem Feld des bürgerlichen Konservatismus: Zwei Mitglieder der Werteunion, ein finanzkräftiger Zahnarzt, ein für die AfD seit Jahren tätiger Jurist und Universitätsdozent, der Mitbesitzer einer Backwaren-Kette. Die mit der Einladung zum Treffen angekündigte Mindestspende von 5 000 Euro ist für diesen Teil des konservativen Umfelds der AfD offenbar kein Problem, handelt es sich hier doch um vermögende Teile der Oberschicht, die in einer Potsdamer Villa ihren Fantasien freien Lauf lassen. Und auch zwei weitere, in der Presse genannte mehr oder weniger bekannte AfD-Politiker*innen lassen aufhorchen: Roland Hartwig, bis zu seiner kürzlichen Entlassung persönlicher Mitarbeiter von Alice Weidel, war von 2017 bis 2021 selbst Bundestagsabgeordneter der AfD. Ab 2018 war er der inoffizielle „Verfassungsschutzbeauftragte“ der Fraktion, der nach der Einstufung der AfD als „Verdachtsfall“ die Abgeordneten immer wieder darauf hinweisen sollte, Begriffe wie „Umvolkung“, „Bevölkerungsaustausch“ oder „Corona-Diktatur“ zu meiden. In dieser Zeit war noch eine Hassfigur der völkischen Rechten, fand jedoch bald schon Anschluss an den neuen Mainstream der Fraktion, pilgerte nach Schnellroda zum Institut für Staatspolitik und machte sich Sichtweise und Sprachgebrauch der völkischen Rechten zu eigen, wenn er sie nicht schon immer beherrscht hat. Vor der Politik war Hartwig Chefsyndikus beim Bayer-Konzern und somit Teil des Managements eines deutschen Multis.

»Deutlich wird, dass in Teilen des konservativen Bürgertums bzw. Kapitals die Distanz zur extremen Rechten schwindet oder teils nie vorhanden war."

Ebenfalls in Potsdam anwesend war die aktuelle Bundestagsabgeordnete der AfD Gerrit Huy. Seit Mitte der 1980er Jahre arbeitete sie im Management zunächst bei Mercedes-Benz, später in der IT- und Telekommunikationsbranche, in der sie auch als unabhängige Unternehmensberaterin tätig war. Politisch eher dem wirtschaftsliberalen Teil der Fraktion zuzurechnen, bekannte Huy im Rahmen der Correctiv-Veröffentlichung, dass sie sich schon länger mit Planungen zur „Remigration“ befasse.

Deutlich wird, dass in Teilen des konservativen Bürgertums bzw. des Kapitals die Distanz zu extremen Rechten schwindet oder bei manchen nie vorhanden war. Eine fortschreitende Normalisierung der AfD würden diesen Teil größer werden lassen. Schon heute sind es solche Teile mittelständischer Kapitalfraktionen, die die Partei und andere Teile der extremen Rechten mit Spenden unterstützen.

Diskursverschiebung als Treiber der Radikalisierung

In der FAZ vom 13. Januar 2024 konnte man unter der Zwischenüberschrift „Afrikanische Spiele“ im Beitrag von Patrick Bahners folgende Einschätzung lesen: „In der Sache gehen die Punkte in Sellners Konzept, die ‚Correctiv‘ referiert, an vielen Stellen nur ein oder zwei Schritte über die migrationspolitischen Planspiele der Ampelkoalition und der Unionsparteien hinaus. Ein ‚Musterstaat‘ (oder eine ‚Musterstadt‘) in Afrika – das ist erst einmal nur die konsequentere Variante des Projekts der Stabilisierung Libyens oder der als kolonialistisch kritisierten Ruanda-Pläne von Rishi Sunak und Jens Spahn. Assimilationsdruck – für Linnemann-CDU und Giffey-SPD kein Tabu.“

Ohne die Differenz zwischen den faschistischen Ideologieelementen einer extremen Rechten und dem bürgerlichen Konservatismus zu verwischen, zeigt Bahners, dass es eine Beziehung zwischen den Planungen im Umfeld der AfD und der verbalen Radikalisierung im bürgerlichen Lager gibt. Je stärker die bürgerliche Rechte Sprache, Inhalt und Planspiele der völkischen Rechten übernimmt, umso mehr befördert sie einen Wettbewerb, den am Ende immer nur die Nazis gewinnen können. Wenn Hans Georg Maaßen die Migration als „Krebserkrankung“ bezeichnet und einen „Chemotherapie für Deutschland“ empfiehlt (Frankfurter Rundschau, 21.11.2023), dann ist das sprachlich auf einem ähnlichen Niveau wie Jens Spahns Forderung, „illegale“ Migration müsse notfalls mit „physischer Gewalt“ aufgehalten werden (Spiegel Online, 24.10.2023). Solche Äußerungen legitimieren und bestätigen die menschenverachtenden verbalen Angriffe der AfD.

AfD-Verbot als letztes Mittel?

Die schon länger laufende Debatte um ein mögliches AfD-Verbot wurde durch die Correctiv-Recherchen deutlich intensiver. Seit dem dramatischen Anstieg der Partei in den Wahlumfragen wird das Thema eines Parteiverbots vermehrt im politischen Raum diskutiert und nach der Veröffentlichung der Vertreibungspläne ist diese Debatte im Zentrum der Politik angekommen

Wann, wenn nicht jetzt sollte eine solche Debatte geführt werden – vorausgesetzt, man sieht die Möglichkeit des Parteiverbots nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes als politisch grundsätzlich legitime Maßnahme an? Darum argumentieren auch viele Stimmen dafür, dass eine gründliche Prüfung, ob die Voraussetzungen für ein Verbot gegeben sind, jetzt vorgenommen werden sollte – ohne dass sie sich notwendigerweise festlegen wollen, ob sie ein solches Verbotsverfahren auch wirklich auf den Weg bringen wollen.

Strategisch hat die Verbotsdebatte den positiven Effekt, dass sie die ohnehin bröckelnde Brandmauer der Union zur AfD eher festigt. Mit einer Partei, über deren Verfassungsfeindlichkeit und Verbot seriös in bürgerlichen Medien, Parteien und in breiten Teilen der Gesellschaft diskutiert wird, lässt sich ein Bündnis auf Landesebene nur schwer, auf Bundesebene kaum vermitteln. Die Konkretisierung der Vertreibungspläne, die damit verbundene Gefährdung für Menschen, die in das rassistisch, sexistisch und politisch geprägte Feindschema der AfD passen und auch ihre Verbindungen in ein militantes, extrem rechtes Umfeld lassen ein Verbot für viele als logische Antwort erscheinen, manche sehen es gar als letzte Chance, einer rechten Machtübernahme effektiv zu begegnen.

»Die Debatte um eine Verbot hat den positiven Effekt, dass sie die bröckelnde Brandmauer der Union zur AfD eher festigt.«

Allerdings ist die Verbotsdebatte und erst recht ein mögliches Verfahren mit erheblichen Risiken verbunden und kann letztlich dazu führen, dass die extreme Rechte nicht geschwächt, sondern gestärkt wird. Da ist zunächst die zeitliche Dimension. Vom Entschluss, ein Verbotsverfahren auf den Weg zu bringen, über die Sammlung von gerichtsfesten Belegen bis zur Verkündung eines Urteils würden mindestens drei bis fünf Jahre vergehen. Auf die Wahljahre 2024/25 hätte die Einleitung eines solchen Verfahrens somit wenig Einfluss.

Die Hürden für ein Verbot liegen beim Bundesverfassungsgericht sehr hoch, das haben die beiden gescheiterten Verbotsverfahren gegen die NPD gezeigt. Ein Scheitern würde in den Augen vieler eine weitere Legitimierung und Normalisierung der AfD bewirken, mit unabsehbaren Folgen.

Weiter ist zu bedenken, welchen Effekt ein Verbotsverfahren auf Wählerinnen und Wähler (nicht nur der AfD) hätte, und zwar in einer Situation, in der die Parteiendemokratie und die reale Ausgestaltung der Demokratie unter erheblichen Ansehensverlust leiden. Die Wahloption von 20 bis 30 Prozent der Wähler*innen zu verbieten ist demokratietheoretisch auf jeden Fall ein größeres Problem. Zugleich wäre es ein Schwächebeweis der Demokratie, sich nicht anders als mit dem Mittel der Repression gegen ihre Gefährdung wehren zu können.

Schließlich wird das Verbot häufig als letztes Mittel der Politik dargestellt, als Notbremse der Demokratie, wenn nichts anderes mehr geht. Damit rückt die Frage nach den Gründen für den Aufstieg der extremen Rechten – in Deutschland aber auch in Europa und darüber hinaus – ins Zentrum. Ein großer Teil der sozialwissenschaftlichen Untersuchungen belegt einen klaren Zusammenhang zwischen einem konkurrenzbasierten, soziale Sicherungssysteme schleifenden neoliberal fundierten Kapitalismus und dem Aufstieg einer autoritären Rechten. Neben Rassismus und völkischen Vorstellungen drückt sich in der Wahl der AfD zumindest auch eine Unzufriedenheit mit der politischen und sozialen Entwicklung aus, die von links nicht einfach negiert werden kann. Jenseits der generellen Überwindung kapitalistischer Verhältnisse wäre auch eine Einhegung dieses Systems vorstellbar, mit der zumindest das weitere Anwachsen eines extrem rechten Autoritarismus gebremst werden könnte.

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