Aktuell häufen sich wieder die Klagen über die mangelnde internationale Wettbewerbsfähigkeit des ehemaligen »Exportweltmeisters« Deutschland. Ähnlich wie in den frühen 2000er-Jahren ist die Rede vom »kranken Mann Europas«, von der drohenden Abwanderung der Industrie und von notwendigen Reformen, um die »Standortbedingungen« zu verbessern. Tatsächlich befindet sich die deutsche Wirtschaft seit dem dritten Quartal 2022 in der Rezession. Deutschland ist das einzige große Industrieland, für das der Internationale Währungsfonds für das gesamte Jahr 2023 eine Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) voraussagt. Es handelt sich hier nicht um eine der periodischen konjunkturellen Weltmarktkrisen, vielmehr deutet vieles auf eine strukturelle Krise der exportorientierten Entwicklungsweise des Kapitalismus in Deutschland hin (vgl. Candeias 2023 sowie zum Hintergrund Beck 2014; Nölke 2021; Schneider 2023). Die Art und Weise, wie die verschiedenen Fraktionen des hiesigen Machtblocks diese Krise bearbeiten, geht allerdings völlig an den gesellschaftlichen Problemen vorbei und droht, die Lage zu verschärfen.

Die exportorientierte Entwicklungsweise …

Der Anteil der gesellschaftlichen Produktion, der exportiert wird, ist in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten ständig gewachsen und betrug im Jahr 2022 erstmals mehr als 50Prozent des BIP.[1] Dies ist für ein relativ großes Industrieland mit entwickeltem Binnenmarkt eine ungewöhnlich hohe Exportquote. Deutschland hatte in den vergangenen 20 Jahren außerdem durchgängig hohe Leistungs­bilanzüberschüsse zu verzeichnen. Das bedeutet: In Deutschland wird ständig mehr produziert als konsumiert, mehr exportiert als importiert, mehr gespart als investiert. Die Leistungsbilanzüberschüsse erreichten 2015/16 ein Maximum von 8,6 Prozent des BIP und lagen 2022 trotz der drastisch gestiegenen Kosten für die Importe fossiler Energieträger immer noch bei 4,2 Prozent.

Im öffentlichen Diskurs werden die hohe Exportquote Deutschlands und die Leistungsbilanzüberschüsse zumeist als Stärke angesehen. Tatsächlich hat der Kapitalismus in Deutschland im internationalen Vergleich einige Konkurrenzvorteile: Der Produktionsapparat ist – noch – relativ breit gefächert, eine Vielzahl von Branchen greift ineinander. Die Quote industrieller Beschäftigung ist überdurchschnittlich hoch. Eine besondere Stärke besteht im Maschinen- und Anlagenbau. Wer die Produktion von Produktionsmitteln für die Produktion von Produktionsmitteln kontrolliert, ist auch Schrittmacher bei der Steigerung der Arbeitsproduktivität, die maßgeblich für die Position in der hierarchischen internationalen Arbeitsteilung ist. Traditionell sind es nur wenige kapitalistische Zentren, die über einen solchen differenzierten Maschinenbau verfügen. Das Know-how der Arbeiter*innen, Techniker*innen und Ingenieur*innen sorgt auch für eine hohe Produktqualität und für inkrementelle Innovationen, die zur Konkurrenzfähigkeit beitragen. Für die Einbindung der Beschäftigten sind Institutionen wie die duale Berufsausbildung, die Mitbestimmung auf Betriebs- und Unternehmensebene sowie regelmäßige Tarifverhandlungen grundlegend. Die Einkommen der verschiedenen sozialen Klassen und die Spielräume für eine Umverteilung hängen von dieser Konstellation ab. Sie bildet damit die Basis für reformistische Politik.

Zweierlei darf allerdings nicht übersehen werden: Erstens funktioniert die exportorien­tierte Entwicklungsweise heute anders als früher, zweitens haben das überproportionale Wachstum des Außenhandels und die Leistungsbilanzüberschüsse eine negative Kehrseite. Betrachten wir die Zusammen­hänge etwas näher.

… ist nicht mehr das, was sie einmal war

Nicht nur die Exporte, auch die Importe sind relativ zur inländischen Produktion stark angewachsen. Zum Teil ist das Wachstum des Außenhandels eine Folge von Produktionsverlagerungen an Niedriglohnstandorte, die höhere Profitraten verheißen. In dem Maße, wie deutsche Unternehmen ihre Produktion internationalisiert haben, ist auch der internationale Handel angewachsen. Bei diesem handelt es sich zum Teil um intra-industriellen Handel und Intrakonzernhandel. Vorprodukte werden etwa in Osteuropa hergestellt und in Deutschland weiterverarbeitet oder umgekehrt. Das Wachstum des Außenhandels ging also mit einer gewissen Schwächung des deutschen Produktionsapparats einher. Zahlreiche Produkte, die früher in Deutschland hergestellt wurden, müssen heute importiert werden, mit zum Teil problematischen Folgen, wie etwa Engpässen bei der Versorgung mit wichtigen Medikamenten.

Die Lohnabhängigen wurden durch die Produktionsverlagerungen ins Ausland oder deren Androhung in den letzten Jahrzehnten erheblich unter Druck gesetzt. Unternehmen haben sich der Tarifbindung entzogen. Die Gewerkschaften sahen sich gezwungen, die Senkung von Löhnen und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen. Mit Öffnungsklauseln in Tarifverträgen wurde die Unterschreitung von Standards auf Unternehmens- und Betriebs­ebene akzeptiert. Die Institutionen der Mitbestimmung bestehen zwar formell noch, haben sich aber ihrem Inhalt nach drastisch verändert. Die Einbindung der Beschäftigten spielt heute faktisch eine viel geringere Rolle für die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen als in der fordistischen Ära. Das Management zielt weniger auf produktivitätssteigernde Investitionen, sondern übt vielmehr direkten Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen aus. Wachsende Exporte werden also heute auf ganz andere Weise erreicht als früher.

Die Kehrseite: niedrige Löhne  und Investitionen

Die Leistungsbilanzüberschüsse sind unter verschiedenen Gesichtspunkten problematisch. Für den Absatz der überschüssigen Waren sind die deutschen Unternehmen auf zahlungsfähige Nachfrage im Ausland angewiesen. Letztlich muss Deutschland diese Nachfrage durch Kapitalexporte, durch die Vergabe internationaler Kredite selbst schaffen, weil Handelspartner mit Leistungsbilanzdefiziten nicht in der Lage sind, durch eigene Exporte nach Deutschland genug Einkommen zu generieren, um ihre Importe zu bezahlen. Für die Kapitaleigner stellen die Zinseinkünfte aus dem internationalen Schuldendienst eine zusätzliche Einkommensquelle dar, doch die Masse der Lohnabhängigen in Deutschland hat davon nichts. Die deutschen Exportüberschüsse und die damit verbundenen Kapitalexporte bedeuten für sie nichts anderes als den Verzicht auf einen Teil des von ihnen produzierten Reichtums: Ein Teil der durch den Export erwirtschafteten Devisen kann nicht für konsumtive Zwecke im Inland verwendet werden, sondern fließt in Form von Krediten wieder ins Ausland, damit dort mehr deutsche Waren gekauft und konsumiert werden können. Da Leistungsbilanzüberschüsse auf ein (zu) niedriges Konsumniveau in Deutschland hinweisen, können sie auch als Resultat zu geringer Lohnsteigerungen verstanden werden. Tatsächlich ist die Lohnquote tendenziell gesunken, sie lag in den 1990er-Jahren noch über 71 Prozent des BIP und liegt aktuell unter 70 Prozent. 2022 erlitten die Lohnabhängigen insgesamt einen Reallohnverlust von 4 Prozent, das heißt, nominale Lohnsteigerungen konnten die hohen Inflationsraten bei Weitem nicht kompensieren. Die Kaufkraftverluste betreffen die unteren Schichten der Arbeiterklasse überdurchschnittlich stark, weil diese gezwungen sind, ihre niedrigen Löhne vor allem für Mieten, Energie und Lebensmittel auszugeben.

Zum anderen verweisen die Leistungsbilanzüberschüsse auf zu geringe Investitionen im Inland, sowohl private wie öffentliche. Der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am BIP ist tendenziell gesunken; von 24,9 Prozent im Jahr 1991 auf 22,5 Prozent im Jahr 2022. Der Anteil der Investitionen in Maschinen und Geräte sank im gleichen Zeitraum von 7,7 auf 4,6 Prozent. Dies erklärt auch ein Stück weit die schleppende Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Deutschland, ungeachtet der Diskussionen über Digitalisierung und »Industrie 4.0«. Zudem spiegeln sich in den sinkenden inländischen Investitionsquoten die Produktionsverlagerungen ins Ausland wider. Die staatlichen Investitionen bewegen sich – bedingt durch die neoliberal orientierte Fiskalpolitik – ebenfalls auf niedrigem Niveau. Sie gingen von 3,1 Prozent des BIP im Jahr 1991 auf 2,7 Prozent im Jahr 2022 zurück. Die Mängel der öffentlichen und sozialen Infrastruktur sind also die Kehrseite der hohen Exportquoten und -überschüsse. Im Grunde muss man also von einem Übermaß der Exporte sprechen, das gerade durch die schleichende Zerstörung der früheren Stärken des deutschen Produktionsstandorts hervorgebracht wird.

Die hohe Exportabhängigkeit bedeutet schließlich eine hohe Verletzlichkeit durch Krisen, internationale Verwerfungen und ungünstige Politikwechsel bei wichtigen Handelspartnern. So sind die deutschen Exporte und das BIP infolge der globalen Finanzkrise 2008/09 und während der Corona-Pandemie 2020 überdurchschnittlich stark eingebrochen. Die strukturelle Krise der exportorientierten Entwicklungsweise verschärft sich aktuell, durch die Zuspitzung ihrer inneren Widersprüche ebenso wie durch die Verschlechterung der internationalen Beziehungen.

Das Ende des billigen Öls und die hohe Inflation

In erster Linie ist die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland ein Resultat der Verwerfungen durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine. Die Exporte nach Russland, die 2021 noch 1,9 Prozent der gesamten Exporte ausmachten, sind drastisch zurückgegangen. Die deutschen Unternehmen haben in der Vergangenheit von relativ billigen Öl- und Gasimporten aus Russland profitiert und sind von deren Wegfall stark betroffen. Importe mineralischer Brennstoffe sind deutlich teurer geworden, im Jahr 2021 um 62 Prozent und im Jahr 2022 um 81 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Steigende Energiekosten führen zu niedrigeren Profitraten und bremsen somit die Kapitalakkumulation. Sie sind außerdem – neben der Störung der globalen Lieferketten durch die Covid-19-Pandemie – ein wesentlicher Treiber der seit 2021 gestiegenen Inflationsraten. In den vergangenen zwei Jahren waren die Inflationsraten in Deutschland zeitweilig höher als bei wichtigen Konkurrenten wie den USA, Frankreich oder Italien. Das hat zur Folge, dass die Preise der hiesigen Produzenten im Vergleich zu den Konkurrenten in Ländern mit niedrigeren Inflationsraten weniger wettbewerbsfähig sind. Zudem sind die Produzenten in Deutschland, die von billigen Zulieferungen aus Osteuropa lange profitiert haben, nun von den dortigen überdurchschnittlich hohen Inflationsraten betroffen.

Im Spannungsfeld von China und den USA

Eine weitere Belastung der deutschen Wirtschaft ist die zunehmende Spannung zwischen den USA und China, hinzu kommen die veränderte US-Außenwirtschaftspolitik und die Wirtschaftsprobleme Chinas. Die deutsche Wirtschaft ist auf beide Länder sowohl als Märkte wie auch als Investitionsstandorte stark angewiesen. Zwar ist der Handel mit den USA in den letzten Jahrzehnten langsamer gewachsen, doch die USA bleiben vor China das wichtigste außereuropäische Zielland für Exporte.

Gegenüber den USA weist Deutschland hohe Exportüberschüsse auf. Lange haben US-Regierungen es akzeptiert, dass die Vereinigten Staaten die deutschen Handelsbilanzüberschüsse absorbierten. Die Trump-Administration verfolgte jedoch erklärtermaßen das Ziel, die Leistungsbilanzdefizite nicht nur gegenüber China, sondern auch gegenüber Deutschland zu reduzieren. Die Einführung bzw. Androhung von Strafzöllen unter Trump verletzte unmittelbar die Interessen des deutschen Kapitals. Mit Joe Bidens Präsidentschaft schien sich das bilaterale Verhältnis zunächst zu entspannen, doch der Inflation Reduction Act, der die einheimische Produktion in den USA subventioniert, führte erneut zu Konflikten. Gleichzeitig bestehen weiterhin sehr tiefe, asymmetrische Kapitalverflechtungen im atlantischen Raum, in denen sich die Dominanz des US-Kapitals gegenüber dem deutschen Kapital manifestiert. So sind in den USA angesiedelte Vermögensverwalter und Investmentgesellschaften die größten Anteilseigner bei vielen deutschen Großunternehmen. Die spezifische Abhängigkeit von den USA besteht auch auf der politisch-militärischen Ebene und führt trotz teilweise unterschiedlicher Interessen tendenziell zur Unterordnung Deutschlands, wie sich etwa bei der Wiederaufnahme der US-Sanktionen gegenüber dem Iran, im Ukraine-Krieg und im veränderten Verhältnis zu China gezeigt hat.

In China stößt der gewaltige Investitionsboom der letzten Jahrzehnte inzwischen an seine Grenzen. Der Aufbau des Produktionsapparats und der staatlichen Infrastruktur, der dem Land lange hohe Wachstumsraten bescherte, ist allmählich abgeschlossen. In vielen Bereichen bestehen bereits Überkapazitäten und auch die schleichende Krise im Immobiliensektor deutet auf die Überakkumulation von Kapital hin. Aktuell befindet sich China in einer Situation der Deflation. Der Rückgang der chinesischen Wachstumsraten wird auch für die deutschen Unternehmen zum Problem, die vom langanhaltenden Boom der chinesischen Wirtschaft stark profitiert hatten. Zudem hat sich das Verhältnis der westlichen Unternehmen zu China verschlechtert, weil die chinesische Regierung den Marktzugang in bestimmten strategischen Bereichen beschränkt hat und chinesische Unternehmen zu bedeutenden Konkurrenten auf dem Weltmarkt herangewachsen sind. Schließlich ist die deutsche Exportwirtschaft auch vom Versuch der US-Regierung, den weiteren Aufstieg Chinas durch Exportbeschränkungen für Halbleiter und andere strategisch zentrale Waren zu verhindern, negativ getroffen.

Die Bundesregierung ist mehr und mehr auf den aggressiven Kurs der US-Regierung gegenüber China eingeschwenkt, obwohl China als Markt und Investitionsstandort für deutsche Unternehmen weiterhin von überragender Bedeutung ist. Außen- und sicherheitspolitische Erwägungen gewinnen gegenüber rein ökonomischen zunehmend an Gewicht. Die herrschende Klasse verfolgt zwar keine Abkopplung von China, möchte aber die Risiken senken, die mit einer möglichen politischen oder gar militärischen Konfrontation verbunden sind. Chinesische Investitionen in strategisch relevante Bereiche der deutschen Ökonomie werden unterbunden, die Bezugsquellen für wichtige Rohstoffe und Vorprodukte sollen diversifiziert werden, bestimmte Schlüsselprodukte wie Halbleiter oder Batterien sollen möglichst im Inland produziert werden, um die Importabhängigkeit zu reduzieren. Der veränderte Diskurs in Bezug auf China macht sich bereits in der Außenhandelsstruktur bemerkbar. Zwar sind die Exporte nach China wie auch Importe in absoluten Zahlen bis vor Kurzem gewachsen, doch seit 2020 ist der Anteil Chinas an den deutschen Exporten erstmals gesunken. Während er 2020 bei 7,9 Prozent lag, betrug er im Juli 2023 noch 6,6 Prozent. Der Anteil der USA an den deutschen Exporten stieg dagegen von 8,6 Prozent im Jahr 2020 auf 10,8 Prozent im Juli 2023.

Die Quadratur des Kreises

Die Bundesregierung und die deutschen Wirtschaftsverbände streben nach der Quadratur des Kreises: Sie versuchen einerseits, die Beziehungen zu den USA zu vertiefen,[2] andererseits die »strategische Autonomie« der EU zu erhöhen und den Marktzugang in China aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig versuchen sie verstärkt, in andere Länder und Regionen zu expandieren und so Ersatz zu finden, sollten sich die Beziehungen zu China weiter verschlechtern. Die Bundesregierung unterstützt die Bemühungen der EU um Handels- und Investitionsschutzabkommen und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit einer Vielzahl von Ländern. Doch die meisten Länder, die als Ziele für den Export von Waren und Kapital anvisiert werden, können schon allein aufgrund ihrer geringeren Größe nicht die Rolle übernehmen, die China in den vergangenen Jahrzehnten gespielt hat. Zudem bestehen zum Beispiel in Indien nicht die staatlichen Kapazitäten, um einen vergleichbaren Akkumulationsprozess anzustoßen. Insofern ist es eher unwahrscheinlich, dass Deutschland nochmals einen Exportboom wie im letzten Jahrzehnt erleben wird.

Die hausgemachten Probleme und ihre blockierte Lösung

Die exportorientierte Entwicklungsweise unterminiert derzeit – wie oben dargestellt – ihre eigenen Grundlagen. Die Infrastrukturmängel haben inzwischen ein Ausmaß erreicht, das die Konkurrenzfähigkeit der inländischen Produktion infrage stellt. Die zunehmenden Sperrungen aufgrund der Sanierung von Straßen, Brücken und Bahnlinien verursachen beispielsweise Umwege und längere Transportzeiten und damit erhebliche Mehrkosten für die privaten Unternehmen. Das vermindert die Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals. Hinzu kommt der Fachkräftemangel, der auch Ergebnis des defizitären Bildungssystems, einer restriktiven Migrationspolitik sowie rassistischer und sexistischer Diskriminierung ist und insofern selbstverschuldet. Die Produktivkraftentwicklung wird durch die fehlende Qualifikation von Arbeitskräften ebenso gebremst wie durch den sinkenden Anteil von Investitionen in Maschinen und Anlagen.

Die mangelnden Investitionen in die Infrastruktur und das Bildungswesen werden von Wirtschaftsverbänden seit Jahren als Probleme benannt. Teile des Machtblocks sind durchaus bereit, dem Staat wieder eine größere Rolle in der Infrastruktur- und Industriepolitik zuzugestehen. Durch den Krieg in der Ukraine haben sich allerdings die Prioritäten zugunsten der Aufrüstung verschoben; die Gelder, die dem Militär zufließen, fehlen an anderer Stelle. So bleiben die Mittel für den »grünen« Umbau und die Energiewende nicht nur weit hinter dem zurück, was klimapolitisch notwendig wäre. Sie reichen auch nicht, um eine neue wirtschaftliche Dynamik in Gang zu setzen. Ohnehin wird der »grüne« Umbau der Wirtschaft von der hegemonialen Fraktion im Machtblock nicht als Alternative zur exportorientierten Entwicklung, sondern als Mittel zu ihrem Erhalt gesehen: Das deutsche Kapital möchte Weltmarktführer bei »grünen« Technologien werden und diese in alle Welt exportieren. Damit reproduziert sich die selbstzerstörerische Dynamik allerdings nur auf anderem Niveau. Für die ­Investitionen in Infrastruktur, Bildungswesen und »grünen« Umbau fehlen vor allem deshalb ausreichende Mittel, weil die verschiedenen Fraktionen des Machtblocks weiterhin an einer neoliberalen Fiskalpolitik festhalten. Natürlich möchten die Kapitalisten Steuern senken und nicht erhöhen – das ist ihr kleinster gemeinsamer Nenner, der sie trotz aller Interessensgegensätze zusammenschweißt. Auch an der Schuldenbremse wird festgehalten – abgesehen davon, dass Schulden in Nebenhaushalte ausgelagert und in »Sondervermögen« umbenannt werden. Wenn Umbauprogramme weder durch die Erhöhung von Steuereinnahmen noch durch eine umfangreichere Neuverschuldung finanziert werden können, bleibt aber nur eine Umverteilung auf Kosten anderer Staatsausgaben wie etwa der Sozialleistungen. Zudem sinken die Steuereinnahmen, wenn die Wirtschaft schrumpft. Daher werden die Rufe nach einer »Agenda 2030« wahrscheinlich lauter werden, je mehr sich die Krise zuspitzt.

Wenn die staatlichen Mittel insgesamt stagnieren oder schrumpfen und gleichzeitig innerhalb des Staates umverteilt wird – für Aufrüstung und neue Subventionsprogramme für Großunternehmen, wie aktuell in der Halbleiterindustrie –, werden die Verteilungskonflikte deutlich zunehmen. Die Auseinandersetzungen um die Kindergrundsicherung haben einen Vorgeschmack gegeben: 100 Milliarden Euro werden für die Bundeswehr mobilisiert, zehn Milliarden Euro für den US-amerikanischen Intel-Konzern, um ihn nach Magdeburg zu locken – gleichzeitig fehlt das Geld für die Kindergrundsicherung.

Leider sind die Arbeiterklasse, die Gewerkschaften und die Linke gegenwärtig nicht in der Verfassung, die kommenden Angriffe des Kapitals abzuwehren, geschweige denn die notwendige ökosozialistische Transformation voranzutreiben. Die Arbeiterklasse droht durch die sich entfaltende Krise und die kapitalistische Transformation weiter an Macht zu verlieren. Das zeigt etwa der Blick auf die Autoindustrie, die für die deutsche Wirtschaft von zentraler Bedeutung ist. Die inländische Produktion ist nach Daten des Verbands der Automobilindustrie bereits von über 5,7 Millionen Pkw im Jahr 2016 auf weniger als 3,5 Millionen im Jahr 2022 gesunken. Durch die fortlaufenden Produktionsverlagerungen ins Ausland und die Umstellung auf den Elektromotor sinkt das Arbeitsvolumen in der hiesigen Industrie. Ein Verlust von Marktanteilen zugunsten chinesischer Produzenten könnte diese Situation noch verschärfen. Bereits jetzt sind die Produktionskapazitäten vieler Automobilwerke nur noch unzureichend ausgelastet. Damit gerät aber auch eine zentrale Machtbasis der IG Metall unter Druck. Die Gewerkschaft hat seit 2019 mehr als 100 000 Mitglieder verloren. Wenn die IG Metall und andere Gewerkschaften weiter an Macht verlieren, hat das schwerwiegende Auswirkungen auf die Arbeitsbeziehungen und die gesamte gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland.

Doch wer weiß: Vielleicht verstärkt die Krise auch den Druck, sich von der »Sozial­partnerschaft«, der Fetischisierung der Exporte und der »Wettbewerbsfähigkeit« des »Standorts Deutschland« zu verabschieden und über radikalere Handlungsoptionen nachzudenken. Notwendig wären eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung und die Vergesellschaftung des Produktionsapparats. Letzteres ist nötig, um ihn sozial-ökologisch umzubauen, die soziale Infrastruktur auszubauen und die Produktion insgesamt an den sozial-ökologischen Erfordernissen und nicht am Profit zu orientieren. In dem Maße, in dem die exportorientierte Entwicklungsweise an ihre Grenzen stößt und damit die Spielräume für reformistische Politik schrumpfen, wächst die Gefahr autoritärer Versuchungen. Damit wird die Notwendigkeit einer radikalen sozialistischen Politik jenseits der Sozialdemokratie und des »linken« Konservatismus jedoch umso deutlicher.