Lasse nie eine Krise ungenutzt – in dieser Hinsicht können wir von der Autoindustrie einiges lernen. Heute, am 5. Mai, fand wieder einmal ein „Autogipfel“ der führenden Konzernlenker und Autolobbyisten mit der Bundeskanzlerin statt. Gegenstand der Besprechung: Weitere Subventionen in Milliardenhöhe für die deutsche „Schlüsselindustrie“. Wiederaufgeführt wird ein Schauspiel, das wir schon in der letzten globalen Finanz- und Wirtschaftskrise erleben konnten, als die „Abwrackprämie“ eingeführt wurde. Freilich klingt das Wort, das die Gesellschaft für deutsche Sprache zum Wort des Jahres 2009 gewählt hat, nicht schön – man spricht jetzt lieber von „Kaufprämie“ oder „Innovationsprämie” und lenkt so von dem Zusammenhang ab, dass mit der staatlichen Förderung der Autokäufe auch die Verschrottung gegenwärtig noch in Betrieb befindlicher, funktionstüchtiger Fahrzeuge einhergeht. Denn schon dieser Zusammenhang weckt Zweifel an einem der Begründungsmuster für die Subventionen: Angeblich sollen diese der Umwelt dienen. Die neuen Autos seien ja so viel umweltverträglicher als die alten. Auch das ist nichts Neues: Die Abwrackprämie von 2009 hieß regierungsamtlich „Umweltprämie“.

Wenn eine auf ununterbrochene Kapitalverwertung getrimmte Wirtschaft in die Krise gerät, führt das immer zu gravierenden Problemen: Unternehmen geraten in Zahlungsschwierigkeiten und gehen bankrott, Massen von Menschen werden erwerbslos. So auch diesmal. Dass wieder eine der für den Kapitalismus charakteristischen zyklischen Krisen naht, zeichnete sich bereits im vergangenen Jahr ab. Verstärkt wurde die einsetzende Krise nun durch die Covid19-Pandemie und die dadurch erzwungene temporäre Stilllegung von Teilen der Produktion. Dennoch fragen sich viele, warum nun ausgerechnet für die Autoindustrie wieder besondere staatliche Subventionen beschlossen werden müssen.

Steuermilliarden für Unternehmen mit Milliardenrücklagen und Milliardäre?

Schauen wir uns die wirtschaftliche Lage der deutschen Autohersteller, die seit Monaten für staatliche Hilfen getrommelt haben, näher an. Die Zahl der produzierten Fahrzeuge des Volkswagen-Konzerns ging im ersten Quartal 2020 gegenüber dem ersten Quartal 2019 um 24,8 Prozent zurück. Die Zahlen der abgesetzten und ausgelieferten Fahrzeuge sanken in einer ähnlichen Größenordnung. Der Umsatz sank erstaunlicherweise aber nur um 8,3 Prozent – von 60 Mrd. auf 55 Mrd. Euro. Trotz des Produktions- und Umsatzeinbruchs war der Konzern auch im ersten Quartal 2020 noch profitabel. Das operative Ergebnis lag bei 904 Mio. Euro, der Gewinn nach Steuern bei 517 Mio. Euro. Die Gewinnrücklagen stiegen nochmals um knapp 4 Mrd. Euro und betragen mittlerweile über 100 Mrd. Euro. Die Netto-Liquidität, also die verfügbaren finanziellen Mittel im Automobilbereich stiegen sogar gegenüber dem Vorjahresquartal um 11,2 Prozent auf fast 17,8 Mrd. Euro, wie im Bericht der Volkswagen AG für das erste Quartal 2020 nachzulesen ist.

Bei Daimler stellt sich die Entwicklung im ersten Quartal 2020 ähnlich dar. Der Umsatz brach in einem noch geringeren Maße als bei VW ein, nämlich um 6 Prozent. Der Gewinn vor Zins- und Steuerzahlungen (EBIT – earnings before interest and taxes) lag bei 617 Mio. Euro, der Gewinn nach Steuern bei 168 Mio. Euro. Die Gewinnrücklagen stiegen auf knapp 47 Mrd. Euro an. Die verfügbaren Zahlungsmittel sanken laut dem Bericht der Daimler AG für das erste Quartal 2020 gegenüber dem Vorjahresquartal nur geringfügig und lagen bei 16,1 Mrd. Euro.

Der BMW-Konzern legt seinen Quartalsbericht für das erste Quartal 2020 am 6. Mai vor – unmittelbar nach dem „Autogipfel“ mit der Bundeskanzlerin. Vielleicht wollte der Konzern die Daten noch etwas zurückhalten, um bessere Argumente bei den Verhandlungen über neue Subventionen zu haben – aber das ist Spekulation. Jedenfalls stand BMW ähnlich wie VW und Daimler am Ende des letzten Geschäftsjahres finanziell glänzend da. Der Konzern realisierte 2019 einen Gewinn nach Steuern von 5 Mrd. Euro. und verfügte über Zahlungsmittel von 12 Mrd. Euro.

Auch die großen Automobilzulieferkonzerne stehen überwiegend gut da. Bosch, der weltgrößte Automobilzulieferer, erzielte 2019 einen EBIT von 2,9 Mrd. Euro und verfügte am Jahresende über flüssige Mittel von mehr als 4,5 Mrd. Euro. Die Continental AG, der drittgrößte Automobilzulieferer weltweit, wies für 2019 aufgrund von hohen Abschreibungen Verluste in Höhe von fast 1,2 Mrd. Euro aus, verfügte aber über flüssige Mittel in Höhe von mehr als 3,3 Mrd. Euro. Die Schaefflergruppe, die ebenso wie die Continental AG Georg Wilhelm Friedrich Schaeffler und seiner Mutter Maria-Elisabeth Schaeffler gehört, realisierte einen EBIT von 790 Mio. Euro, einen Gewinn nach Steuern von 428 Mio. Euro und verfügte Ende des Jahres über Zahlungsmittel in Höhe von 668 Mio. Euro. Die ZF Friedrichshafen AG, der fünftgrößte Automobilzulieferer der Welt, realisierte einen Gewinn nach Steuern von 400 Mio. Euro und verfügte über Finanzmittel in Höhe von 2,4 Mrd. Euro.

Freilich: Gerade die kleineren Zulieferer bekommen die gegenwärtige Krise stärker zu spüren, da sie über weniger Liquidität und Eigenkapital verfügen. Doch dies ist ein Resultat der Machtverhältnisse in der Branche. Die Markenhersteller haben erkannt, dass es profitabler ist, wenn sie die Produktion von Fahrzeugteilen Zulieferern überlassen. In den letzten Jahrzehnten haben sie ihre eigene Fertigungstiefe ständig reduziert, aber die Kontrolle über die Produktentwicklung, das Marketing und den Gesamtprozess der Produktion behalten. Die großen Zulieferer von Fahrzeugmodulen und -komponenten haben ihrerseits den von den Markenherstellern ausgehenden Druck zur Kostensenkung an ihre Zulieferer weitergegeben. Die Aufspaltung der Produktion von Automobilen auf viele rechtlich selbständige Unternehmen erleichtert es, die Arbeitsbedingungen innerhalb der Produktionsnetzwerke zu differenzieren und entlang der Zulieferkette die Löhne zu drücken. Der von den Markenherstellern auf ihre Zulieferer ausgeübte Druck führt dazu, dass sich die Profite vor allem bei den Markenherstellern ansammeln, während die Zulieferer in höherem Maße die Risiken tragen, die mit den periodischen Krisen einhergehen.

Die Bundesregierung hat bereits im März die Voraussetzungen geschaffen, damit Unternehmen mit Liquiditätsproblemen in großem Umfang staatliche Kredite, Bürgschaften oder auch Eigenkapitalhilfen erhalten können. Es besteht eigentlich kein Grund, die Autoindustrie noch gesondert zu subventionieren. Die Unternehmen der Autoindustrie können gegebenenfalls wie die Unternehmen aller anderen Branchen die bereits zuvor beschlossenen Hilfen in Anspruch nehmen. Im Übrigen haben die großen Autohersteller in der gegenwärtigen Krise auch für die Liquidität der mit ihnen verbundenen Autohäuser Sorge getragen und ihnen Kredite und bessere Zahlungskonditionen gewährt. Warum sollten sie sich nicht auch um die ihre Zulieferer kümmern und diese entsprechend unterstützen? Die Gewinnrücklagen und Liquiditätspolster der Markenhersteller ermöglichen dies allemal. Und warum sollte das Vermögen der Eigentümer der Autokonzerne in dieser Krise unangetastet bleiben? Hier handelt es sich schließlich auch um einige der reichsten Familien Deutschlands und anderer Länder, um Milliardäre wie Ferdinand Piëch, Wolfgang Porsche, Stefan Quandt, Susanne Klatten, Heinz Hermann Thiele, Maria-Elisabeth Schaeffler, Georg Wilhelm Friedrich Schaeffler, die Herrscherfamilien von Kuwait und Katar.

Der Schulterschluss für das Auto

Dass trotz der Milliardengewinne der Autohersteller neue Subventionen für die Autoindustrie fällig sind, darin sind sich wiedermal fast alle einig. Kritik kommt von liberalen Ökonomen, die ordnungspolitische Prinzipien in Gefahr sehen, und von Vertretern anderer Branchen wie der Möbelindustrie oder dem Maschinenbau, für die keine entsprechenden Sonderprogramme absehbar sind. Abgesehen davon ist vor allem die Ausgestaltung der Subventionen umstritten. Die Autohersteller wollen Kaufprämien für alle Fahrzeugklassen und Antriebsarten. Die Grünen und einige Umweltverbände wollen nur Elektroautos fördern. Würde die Förderung auf Elektroautos beschränkt, so wäre der konjunkturelle Effekt der Maßnahmen sowohl auf der Branchenebene als auch auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene vermutlich gering, weil die deutsche Autoindustrie bisher kaum Elektroautos im Angebot hat; die Produktionskapazitäten sind hier gering. Zudem handelt es sich vorwiegend um hochpreisige Modelle, die Kaufprämie würde also vor allem Haushalten mit hohen Einkommen zugutekommen. Werden umgekehrt auch Autos mit Verbrennungsmotor bezuschusst, so ist die Wirkung strukturkonservativ und ökologisch besonders desaströs. Die Ministerpräsidenten von Bayern (CSU), Baden-Württemberg (Grüne) und Niedersachsen (SPD) haben am 4. Mai einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt, der Aspekte der Forderungen der Autohersteller und der Grünen kombiniert, indem er eine geringfügig nach Antriebsart differenzierte Förderung vorsieht: Käufe von E-Autos und Hybridautos sollten mit 4000 Euro zusätzlich zu der schon bestehenden Kaufprämie gefördert werden, Käufe von neuen Fahrzeugen mit Diesel- oder Benzinmotor mit 3000 Euro, und die Stilllegung alter Fahrzeuge mit 1000 Euro. In dem heutigen Gespräch mit der Bundeskanzlerin wurde zwar Konsens über die Notwendigkeit „konjunkturbelebender Maßnahmen“ erzielt, doch wie diese ausgestaltet werden sollen, ist weiterhin offen. Eine Arbeitsgruppe der beteiligten Akteure (Bundesregierung, Autohersteller, VDA und IG Metall) soll nun bis Anfang Juni entsprechende Vorschläge erarbeiten, wie damit zugleich ein „Modernisierungsbeitrag in Richtung innovativer Fahrzeugtechnologien“ geleistet werden kann, wie es in der Pressemitteilung des Bundeskanzleramtes heißt.

Im Gespräch ist auch die staatliche Förderung des Aufbaus der Ladeinfrastruktur für die Akkus der Elektroautos. Herbert Diess, der Vorstandsvorsitzende von VW, denkt dabei zuerst an die Eigenheim- und Garagenbesitzer und schlägt einen Zuschuss von 500 Euro für den Einbau heimischer Ladestationen vor; auch Cem Özdemir, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag findet es eine gute Idee, die eher besser betuchten Eigenheim- und Autobesitzer so zu fördern (vgl. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 3.5.2020). Und wo sollen die Elektroautos geladen werden, die im öffentlichen Raum rumstehen? Eben dort. Wenn die Vorstellungen der Autolobby umgesetzt werden, können sich Fußgänger darauf einstellen, dass die Ladesäulen auch noch flächendeckend auf die schmalen Bürgersteige gestellt werden, also wieder weiterer Raum in Städten und Gemeinden zugunsten der Autofahrer umverteilt wird.

Dabei zeigt sich am Beispiel der Akkus und Ladestationen besonders gut die Irrationalität, zu der die kapitalistische Konkurrenz im Bereich der Elektromobilität führt. Standardisierte Wechselbatterien, die z.B. an den heutigen Tankstellen ausgetauscht werden könnten, wären sicherlich die ökologischere und für längere Fahrten mit Elektrofahrzeugen funktionalere Lösung im Vergleich zu den proprietären, fest eingebauten Batteriesystemen der verschiedenen Autohersteller. Solche Wechselbatterien könnten wesentlich kleiner und leichter dimensioniert werden; sie könnten eine längere Lebensdauer haben, da der Ladevorgang langsam erfolgen könnte und nicht über Schnellladesysteme erfolgen müsste; längere Standzeiten der batterieelektrisch betriebenen Fahrzeuge wären nicht notwendig; die natürlichen Schwankungen bei der Erzeugung regenerativer Energien wären kein Hindernis, sondern könnten durch Wechselbatterien besser ausgenutzt werden; die Ladestationen können räumlich stärker konzentriert werden und müssten nicht über den gesamten Stadtraum und die privaten Haushalte verteilt werden. Aber die meisten Autohersteller bekämpfen standardisierte Wechselbatterien, da sie dann weniger Einfluss darauf hätten und die Batteriesysteme nicht mehr als Medium ihrer Konkurrenz fungieren würden. Eine Normierung der Akkus wäre aus der Sicht von Peter Lamp, der bei BMW für die Batterieentwicklung zuständig ist, bereits „Planwirtschaft“[1].

Dass für die Autoindustrie einmal mehr eine Extrawurst gebraten werden könnte, hat sich bereits in den vergangenen Wochen abgezeichnet. Am 15. April beschlossen die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder, dass sämtliche Läden bis zu einer Verkaufsfläche von 800 Quadratmetern ab dem 20. April wieder öffnen dürfen. Für Autohäuser wurde jedoch eine Ausnahme gemacht – für sie gilt die Beschränkung auf eine Fläche von 800 Quadratmetern nicht. Zuvor hatte Winfried Kretschmann, Ministerpräsident im Autoländle, in der Debatte über die „Lockerungen“ schon mitgeteilt: „Ein Autohaus ist sicher anders zu beurteilen als ein Wirtshaus, weil es dort viel schwieriger ist, die körperliche Distanz zu wahren“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12. April 2020). Warum ein Autohaus aber anders zu beurteilen ist als ein Möbelhaus, erschließt sich nicht.

Eine Befürwortung der Subventionen von Seiten der Grünen und Umweltverbände ist insofern überraschend, als dass keiner der Autokonzerne eine Modellstrategie verfolgt, die mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens kompatibel ist. Stattdessen liefern sie sich ein Wettrüsten mit immer größeren, spritschluckenden SUVs und Geländewagen. So hat sich der VW-Konzern, der im Zentrum von Dieselgate und damit eines der größten Industrieskandale steht, auch für die Zukunft das Ziel gesetzt, den Anteil von SUVs an allen verkauften Fahrzeugen zu steigern: Bis 2025 sollen weltweit mehr als 50% der verkauften Fahrzeuge aus SUVs bestehen; 2019 ist der Konzern auf einen Anteil von 30% gekommen. Auch der Absatzrekord des BMW-Konzerns aus dem letzten Jahr von über zwei Millionen Automobilen fußt im Wesentlichen auf SUV-Modellen. Die Autos werden dabei immer größer: Der X7, den der Konzern im März letzten Jahres auf den Markt brachte, übertrifft mit einer Länge von 5,15 Metern und einer Breite von zwei Metern nochmals den X5 und ist deutlich überdimensioniert für europäische Straßen. Dass BMW mitten in der Debatte um die ökologische Krise mit dem zweieinhalb Tonnen schweren X7 (CO2-Ausstoß: 199 Gramm pro Kilometer) ein solches „Statement der Luxusklasse“ setzt, offenbart den rein ideologischen Charakter der propagierten Verpflichtung zum Klimaschutz. Daimler fühlte sich prompt herausgefordert und antwortete auf das Konkurrenzmodell X7 im letzten Jahr mit der neuen Generation des monströsen, siebensitzigen GLS. Wie üblich für SUVs von Daimler als „Ausdruck innerer Stärke“ beworben, demonstriert der GLS diese eher nach außen – mit einer Länge von über 5,2 Metern übertrifft er sogar noch den BMW X7; dies gilt auch für den CO2-Ausstoß von über 200 Gramm pro Kilometer. Die Modellpolitik der Autokonzerne führt jegliches Bemühen um Klimaschutz ad absurdum.

Die Autokonzerne konnten sich auch bisher schon über mangelnde öffentliche Förderung wahrlich nicht beschweren. Neben der Abwrackprämie und den bereits eingeführten Kaufprämien für E-Autos werden sie vor allem bei der Forschung zur Batteriezellenfertigung massiv unterstützt. Im Wissen um den drohenden Verlust von Wertschöpfung und Kapitalakkumulation forcieren Politiker*innen in Deutschland und der EU eine Batteriefertigung in Europa. Ziel ist es, im Rahmen einer europäischen Industriepolitik – noch rechtzeitig zum erwarteten Boom von Elektroautos – auch in Europa Batteriefabriken zu errichten und damit ein europäisch-kapitalistisches Gegengewicht zu den bislang marktdominierenden Anbietern aus Asien zu schaffen. Daher stimmte sich das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) kürzlich mit der EU-Kommission und weiteren Mitgliedsstaaten über zwei Großprojekte zur Förderung der Batteriezellproduktion ab. Diese Projekte sollen als „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) realisiert und von europäischen Konsortien, in denen insbesondere französische und deutsche Konzerne eine bedeutende Rolle spielen, durchgeführt werden[2]. Das erste Konsortium wurde bereits von der EU-Kommission bewilligt; das Fördervolumen beläuft sich auf 3,2 Mrd. Euro. Ein zweites ist bereits in Planung.

Der Ruf der Autokonzerne nach einem Konjunkturprogramm rührt auch daher, dass sie möglicherweise vor milliardenschweren Strafzahlungen stehen, da sie den ab diesem Jahr geltenden EU-Emissionsgrenzwert von durchschnittlich 95 Gramm CO2 pro Kilometer voraussichtlich nicht einhalten werden. Dabei hatten sie zehn Jahre lang Zeit, sich auf die Flottengrenzwerte der EU-Klimavorgaben einzustellen. Um nun eine rasche Umstellung auf alternative Antriebsformen vorzunehmen, kündigten alle deutschen Hersteller im letzten Jahr „Sparprogramme“ an, die vor allem einen „sozialverträglichen“ Stellenabbau und eine Senkung von Prämien für die Lohnabhängigen vorsehen. Diese Maßnahmen seien notwendig, um die dazu erforderlichen Investitionen finanzieren zu können. Die oben genannten enormen Gewinnrücklagen und Zahlungsmittelbestände der Konzerne widersprechen dieser Argumentation vehement. Gleichzeitig erhöhte beispielsweise der VW-Konzern, der derzeit am lautesten nach Subventionen ruft, die Dividenden vor dem Hintergrund sprudelnder Gewinne stetig; alleine zwischen 2016 und 2019 verdreifachten sich die Dividenden auf Stamm- und Vorzugsaktien. Ein erneutes Konjunkturprogramm ist auch deshalb eine politische Fehlentscheidung, weil die Autokonzerne Meister darin sind, soziale und (vermeintlich) ökologische Ziele gegeneinander auszuspielen.

Bedauerlich ist, dass sich auch die IG Metall wieder vor den Karren der Autokonzerne spannen lässt und offenbar in der Subventionierung der Autoindustrie auf Kosten der Steuerzahler*innen einen Weg sieht, die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten zu verteidigen. In den Stellungnahmen der Gewerkschafte*innen gibt es allerdings durchaus Nuancen. Die einen, wie etwa Bernd Osterloh, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats bei Volkswagen, oder Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg, liegen mehr oder weniger auf der Linie der Autokonzerne und fordern Zuschüsse auch für Verbrennungsmotoren und für alle Fahrzeugklassen, andere wie IGM-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban oder Johann Horn, der IGM-Bezirksleiter in Bayern, plädieren für eine stärker sozialökologische Ausgestaltung der Subventionen, was auch immer das konkret heißen mag. Einige Betriebsräte aus Zulieferbetrieben in Franken haben zurecht darauf hingewiesen, dass es bei einer sozialökologischen Transformation der Autoindustrie um mehr geht als nur um die Veränderung des Antriebsstrangs. Kaum jemand stellt sich allerdings grundsätzlich gegen Subventionen für die Autoindustrie.

Was eigentlich notwendig wäre

Notwendig wäre eine Verkehrspolitik, die konsequent ökologische und soziale Ziele verfolgt. Dies erfordert vor allem den Schutz der schwächsten Verkehrsteilnehmer, der Kinder, der Fußgänger, Rollstuhlfahrer und Radfahrer, sowie den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel. Die Straßenverkehrsordnung müsste geändert werden, der Vorrang des Autoverkehrs vor anderen Verkehrsarten müsste beseitigt werden (vgl. Leidig 2020). In Städten und Gemeinden müsste mehr Raum für Fußgänger*innen, Radfahrer*innen, Rollstuhlfahrer*innen, Kinder zur Verfügung gestellt werden, während Parkplätze und Fahrspuren für Autos reduziert werden müssten. Flächendeckende Geschwindigkeitskeitsbegrenzungen (etwa 30 km/h in Städten und Gemeinden, 80 km/h auf Bundes- und Landstraßen, 100 km/h auf Autobahnen) könnten Hunderte von Verkehrstoten und Tausende von Verletzten pro Jahr vermeiden und würden die Lärm- und Abgasbelastung stark reduzieren. Der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel könnte Mobilität auch für jene gewährleisten, die sich kein Auto leisten können oder es aufgrund von körperlichen Einschränkungen nicht benutzen können. Die Verlagerung des motorisierten Individualverkehrs auf Bahnen und Busse würde bereits in der Produktion und erst recht beim Gebrauch der Verkehrsmittel enorme Einsparungen von knappen Rohstoffen ermöglichen und Emissionen verhindern. Notwendig wäre eine flächendeckende Bereitstellung öffentlicher Verkehrsmittel mit dichter Taktung auch in ländlichen Gebieten, um das immer krassere Gefälle der Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land zu reduzieren. Der Staat sollte kein Geld in die Autoindustrie investieren, sondern in schienengebundene Verkehrsmittel, die ökologisch weitaus verträglicher sind. Nicht zuletzt müsste es auch darum gehen, überflüssige und erzwungene Mobilität zu reduzieren, also etwa die Distanzen zwischen Wohnungen, Arbeitsplätzen, Geschäften und Freizeiteinrichtungen zu verkürzen. Dies setzt auch andere Formen der Raumplanung und des Städtebaus voraus.

Die Förderung von Elektroautos, wie sie von den Grünen und zum Teil auch von Umweltverbänden befürwortet wird, bietet keine Lösung für die ökologischen und sozialen Mobilitätsprobleme. Die Produktion von Elektroautos erfordert vielmehr noch in gesteigertem Maße die Vernutzung knapper Metalle wie Kupfer, Lithium, Kobalt und Metalle aus seltenen Erden. Die Umstellung der heutigen Fahrzeugflotte von Autos mit Verbrennungsmotor auf Elektroautos würde diese Ressourcen schnell erschöpfen und zu einer enormen Verschärfung der geopolitischen Konflikte führen, die mit der Aneignung dieser Rohstoffe verbunden sind. Die daraus resultierende Kriegsgefahr würde wachsen. Der motorisierte Individualverkehr kann auch in Verbindung mit Elektroantrieben kein Modell für die Befriedigung der Mobilitätsbedürfnisse der gesamten Menschheit sein, da diese Form der Mobilität aufgrund der gewaltigen Ressourcenerfordernisse und der Schäden, die damit einhergehen, schlicht nicht verallgemeinerbar ist. Im Übrigen geht auch die Produktion von Elektroautos mit hohen CO2-Emissionen einher. Die CO2-Gesamtbilanz von Elektroautos ist nur dann etwas besser als die von Autos mit Verbrennungsmotor, wenn jene länger gefahren werden und wenn der dafür notwendige Strom komplett aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Auch in Deutschland ist es noch ein weiter Weg, bis die Produktion von Strom komplett auf erneuerbare Energiequellen umgestellt ist. Selbst dann bleibt der Strom aus erneuerbarer Energie knapp und wird dringender für andere Zwecke als für den Antrieb einer riesigen privaten Fahrzeugflotte benötigt.

In den vergangenen Jahren ist das Gewicht der Autoindustrie in Deutschland noch gewachsen; die Industriestruktur – und damit letztlich die gesamte Gesellschaft – ist immer stärker vom Auto abhängig geworden. Das ist fatal. Notwendig wäre im Gegensatz dazu aus ökologischen Gründen, dass die Autoproduktion stark schrumpft. Die freiwerdenden Arbeits- und Produktionskapazitäten könnten zum Teil für die Herstellung sozial und ökologisch nützlicher Produkte verwendet werden. Die kurzfristige Umstellung der Produktion in einigen Betrieben während der Corona-Pandemie auf die Produktion von Beatmungsgeräten, Desinfektionsmitteln und Schutzbekleidung zeigt, was eigentlich möglich wäre. Das Bahnnetz und die Straßenbahnnetze müssten beispielsweise ausgebaut, die Produktion von Bussen und Schienenfahrzeugen müsste erheblich gesteigert werden. Eine Reduzierung des Arbeitsvolumens in der Autoindustrie könnte auch für eine allgemeine gesellschaftliche Arbeitszeitverkürzung genutzt werden, die auch aus ökologischen und geschlechterpolitischen Gründen sinnvoll wäre: Mehr Muße statt mehr Warenkonsum, mehr Zeit für die Betreuung von Kindern und alten Menschen.

Die Konversion der Produktion in der Automobilindustrie sollte bei den schädlichsten Produkten, bei den großen und schweren SUVs, Geländewagen und Luxuslimousinen beginnen, d.h. deren Produktion sollte möglichst rasch eingestellt werden. Freilich können wir nicht erwarten, dass die Autohersteller freiwillig auf ihre profitabelsten Produkte verzichten. Daher ist es notwendig, auch die bestehenden Eigentumsverhältnisse in der Autoindustrie anzugreifen und die großen Konzerne zu vergesellschaften. Das ist ein Problem, das auch in elaborierten Konzepten einer sozialökologischen Verkehrswende allzu oft nicht thematisiert wird. Ein Beispiel dafür ist das jüngste Memorandum der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Es ist eine Illusion, zu glauben, man könne eine Verkehrswende erreichen, ohne zugleich in die kapitalistischen Produktionsverhältnisse einzugreifen.

Die gegenwärtige Krise wäre eigentlich eine Chance, um endlich das heutige System der Mobilität sozialökologisch umzugestalten. Leider deutet alles darauf hin, dass auch diese Chance ähnlich wie in der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise wieder verspielt wird. Stattdessen wird versucht, die existierenden Strukturen der kapitalistischen Produktion mit allen Mitteln zu stabilisieren. Vieles spricht dafür, dass auch die Corona-Pandemie ein Resultat des zerstörerischen Verhältnisses zur Natur ist, das mit der kapitalistischen Produktionsweise einhergeht. Sie könnte sich als Menetekel erweisen. Die Vernichtung der menschlichen Zivilisation rückt näher. Die neuen Subventionen für die Autoindustrie sind ein Schritt weiter auf dem Weg in die Katastrophe.

[1] Vgl. www.spiegel.de/auto/fahrkultur/wechsel-akkus-fuer-elektroautos-raus-rein-weiter-a-1190491.html.

[2] Dies erlaubt es, Unternehmen direkte staatliche Subventionen zufließen zu lassen. Direkte Subventionen an Konzerne sind eigentlich verboten. Die EU-Kommission kann aber Projekte definieren, die im „besonderen Interesse für die Allgemeinheit aller Europäer“ stehen (IPCEI). Dies setzt die eigentlichen Beihilferegeln außer Kraft – und das „unternehmerische Risiko“ kann auf die Steuerzahler abgewälzt werden.

Weitere Beiträge