Kein anderes Verkehrsmittel transportiert Menschen und Güter so schnell und zugleich klimafreundlich über große Distanzen: Ohne die Bahn ist die Mobilitätswende nicht zu schaffen. Leider steckt sie in der Dauerkrise fest. Um Verspätungen und Strukturprobleme zu überwinden, ist auch eine bessere, integrierte und demokratische Planung nötig.

Privatisierungseuphorie in den 1990ern

Die Bundesbahn im Westdeutschland der 1980er-Jahre hatte keinen guten Ruf – und die Reichsbahn in der damaligen DDR ebenso wenig. Mit der Bahnreform von 1994 sollte alles besser werden: Die beiden Staatsunternehmen wurden zur Deutschen Bahn AG (DB AG) verschmolzen, die im Wettbewerb mit anderen Bahnunternehmen kundenfreundlicher, moderner und effizienter werden und dabei weniger staatliche Unterstützung benötigen sollte. Im Bundestag herrschte große Einigkeit: Alle Fraktionen außer der damaligen PDS und einzelner Abgeordneter stimmten dem »Deutsche-Bahn-Gründungsgesetz« und der damit verbundenen Grundgesetzänderung zu.

In der damaligen Privatisierungseuphorie hieß es, das Schienennetz und der Betrieb würden privatwirtschaftlich am besten funktionieren. Deswegen wurde die DB als Aktiengesellschaft gegründet, die zwar vorerst im Besitz des Staates blieb, aber keine politischen Zielvorgaben von diesem erhielt. Damit galt letztlich nur das allgemeine Ziel einer AG: die Maximierung ihrer Gewinne. Das unterscheidet die DB AG grundlegend zum Beispiel von den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB AG), die zwar formell ebenfalls eine Aktiengesellschaft sind, aber über ein eigenes Gesetz und Zielvereinbarungen sehr eng gesteuert werden, während keine Gewinnerzielung erwartet wird.

Die DB AG entwickelte hingegen ein Eigenleben, das zunehmend weniger zur Absicht eines guten Bahnverkehrs passte. Spätestens als 1999 Hartmut Mehdorn von seinem Freund und dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder an die Spitze des Unternehmens gesetzt wurde, ging es immer schneller in Richtung Börsengang und Global Player: Für viele Milliarden Euro wurden internationale Logistikunternehmen aufgekauft, was zu der Verschuldung von inzwischen fast 40 Milliarden Euro erheblich beigetragen hat. Hätte nicht ein breiter zivilgesellschaftlicher Protest, der im Bündnis »Bahn für Alle« gebündelt wurde, diesen Börsengang immer wieder öffentlichkeitswirksam infrage gestellt, hätten wir heute eine auch materiell privatisierte DB AG und vermutlich britische Verhältnisse im Bahnverkehr – ein marodes und zerstückeltes Bahnsystem mit horrenden Preisen für die Fahrgäste und oft schlechtem Service (Haines-Doran 2022).

Orientierungslos nach dem geplatzten Börsengang

Mit dem Beginn der Finanzkrise im Herbst 2008 war das Projekt Börsengang plötzlich tot und es wurde immer deutlicher, dass die Orientierung auf maximalen Profit und »Börsenfähigkeit« enorme Schäden verursacht hatte: Bahnhöfe, Grundstücke und Tausende Eisenbahnerwohnungen waren verkauft, das Bahnnetz hatte durch die Stilllegung von Weichen, Überleit- und Ausweichgleisen enorm an Flexibilität und Kapazität verloren und bei der Instandhaltung der Züge bestand großer Nachholbedarf. Das Schienennetz ist seit der Bahnreform um 12 Prozent geschrumpft, während ein Drittel mehr Personen und fast doppelt so viele Güter wie 1995 transportiert werden – mit weiter steigender Tendenz (Allianz pro Schiene e. V. o. J.). Für die Fahrgäste wurde das Problem zunehmend durch Verspätungen und Zugausfälle spürbar.

Eine bessere Kontrolle des Unternehmens sollte eine »Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung« bringen. Darin wurden sehr allgemeine Zielwerte für die Instandhaltung des Netzes festgeschrieben, wofür die DB AG im Gegenzug Geld vom Bund erhält. Im jährlichen Infrastrukturzustandsbericht wurden alle diese Zielwerte regelmäßig erreicht. Sie sind jedoch offensichtlich wenig aussagekräftig, denn es ist unstrittig, dass sich das deutsche Schienennetz in einem schlechten Zustand befindet und dies eine der Hauptursachen für die mangelhafte Qualität des Zugbetriebs ist.

Gemeinwohlorientierung – aber wie?

30 Jahre nach der Bahnreform ist unübersehbar, dass das Konzept einer gewinnorientierten Bahn in vielerlei Hinsicht nicht funktioniert hat. Vor allem beim Schienennetz gab es einen erheblichen Substanzverzehr: Wenn es nicht kontinuierlich instand gehalten wird, werden Teile der Infrastruktur immer störungsanfälliger, sodass sich die Probleme irgendwann häufen. Der Instandhaltungsstau im deutschen Netz hat sich inzwischen auf 80 bis 100 Milliarden Euro aufsummiert. Brücken, Tunnel, Gleise und Signalanlagen sind teils erheblich überaltert. Ohne ihre Erneuerung steht das Schienennetz vor einem Kollaps. Inzwischen hat sich diese Einsicht bis ins Verkehrsministerium durchgesetzt.

Abhilfe soll nun das zum 1. Januar 2024 gegründete Tochterunternehmen der Deutschen Bahn namens InfraGO schaffen, das das Bahnnetz mitsamt Stationen im Sinne des Gemeinwohls betreiben soll. Es bleibt allerdings völlig unklar, was genau mit Gemeinwohl gemeint ist und wie die Abkehr von der bisherigen Profitorientierung gelingen soll. Noch fehlt eine strategische Zielvereinbarung zwischen der InfraGO und dem Bund als Eigentümer, in der diese neue Ausrichtung mit überprüfbaren Kriterien festgelegt ist.

Der Betrieb der Züge soll auch weiterhin »eigenwirtschaftlich« erfolgen, obwohl auch hier gemeinwirtschaftliche Ziele wieder stärker in den Fokus rücken. Im Zuge des Deutschlandtakts, einer Zukunftsstrategie für zeiteffiziente Bahnverbindungen im ganzen Land, sollen in den nächsten Jahren viele neue Fernverkehrslinien entstehen. Viele von ihnen sind sinnvoll für die Mobilitätswende, aber nicht unbedingt betriebswirtschaftlich profitabel. Ökonom*innen empfehlen daher auch eine gemeinwohlorientierte Fernverkehrssparte analog zu der der Schweizer Bundesbahnen, die bekanntlich sehr viel zuverlässiger funktioniert (Beckers/Nagel 2023). Damit stellt sich immer stärker die Frage nach einer grundlegend neuen Struktur und Ausrichtung der Deutschen Bahn insgesamt – einer Bahnreform 2.0.

Was muss eine Bahn der Zukunft leisten?

Der Verkehr ist der einzige Sektor, in dem die klimaschädlichen Emissionen seit 1990 nicht gesunken sind. Neben einem Ende des Verkehrswachstums ist eine erhebliche Verlagerung nötig: weg von der Straße und der Luft hin auf die energieeffizientere Schiene. Diese muss im Nah- wie auch im Fernverkehr zum Rückgrat unserer zukünftigen Mobilität werden und im Güterverkehr zum wichtigsten Transportmittel. Dafür muss sie für alle Menschen und Güter zugänglich und attraktiv sein und den Fokus auf einen stabilen Betrieb legen, sich also auf ihr Kerngeschäft rückbesinnen – dazu zählt weder der Betrieb von Buslinien in anderen Ländern noch weltweite Luft- und Seefracht. Die gute Nachricht: Mit dem Verkauf der Tochterunternehmen Arriva und Schenker Logistics fährt der DB-Zug hier wieder in die richtige Richtung. Doch die gescheiterte »Global-Player-Strategie« hat viele Milliarden Euro Verlust verursacht.

Die erste Aufgabe ist es, das Schienennetz wieder instand zu setzen und endlich für den wachsenden Schienenverkehr und den Deutschlandtakt auszubauen. Die Finanzen werden bislang jährlich im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt, was immer wieder mit großen Unsicherheiten behaftet ist. Für einen nachhaltigen Ausbau braucht es aber eine verlässliche und bessere Finanzierung. Hier können wir ebenfalls von der Schweiz lernen, wo sich überjährige Infrastrukturfonds schon lange bewähren. Sie schaffen Unabhängigkeit von kurzfristigen Finanzentscheidungen und ermöglichen eine langfristige Planung. Dazu gehört auch die Reaktivierung vieler stillgelegter Bahnstrecken und Gleisanschlüsse. Neue Hochgeschwindigkeitsstrecken machen nur an wenigen Stellen Sinn, wo viel Verkehr zu erwarten ist und kürzere Fahrzeiten für die Schaffung von Umstiegsmöglichkeiten unerlässlich sind. Außerdem müssen Bahnhöfe erneuert und zu Mobilitätszentralen ausgebaut werden. Solche Zukunftsbahnhöfe müssen nicht nur eine komfortable Verknüpfung mit dem lokalen öffentlichen Verkehr schaffen, sondern auch Leihradstationen und Carsharing sowie sichere Abstellmöglichkeiten für eigene Fahrräder bieten. Wichtig sind auch Informationsmöglichkeiten für diejenigen, die nicht rein digital unterwegs sind, sowie Unterstützung für Menschen mit Einschränkungen.

Zur Netzentwicklung gehört aber auch die weitere Elektrifizierung, die aktuell erst 62 Prozent des deutschen Schienennetzes umfasst. Mehr Oberleitungen und ein zügiges Ende des Dieselantriebs machen die Bahn noch sauberer, schaffen Alternativrouten für mehr Kapazität und reduzieren den Lärm für die Anwohnenden. Auf Nebenstrecken mit wenig Verkehr könnten moderne batterie-elektrische Triebzüge eine Alternative sein. So kann die ohnehin sehr energieeffiziente Bahn, die schon heute den klimafreundlichsten Energiemix aller motorisierten Verkehrsträger hat, zügig auf 100 Prozent erneuerbare Energie umgestellt werden.

Integrierte Planung von Netz und Verkehr

Für die Netzentwicklung braucht es ein entsprechendes Verkehrsangebot, das immer als Ganzes geplant sein muss – ohne künstliche Trennung zwischen Fern- und Nahverkehr, im Verbund mit dem öffentlichen Nahverkehr und bei ausreichenden Kapazitäten für den Güterverkehr. Der Markt allein ist nicht in der Lage, die Verkehrsangebote bereitzustellen, die alle Menschen vom eigenen Auto unabhängig machen. Der Deutschlandtakt wäre ein grundlegendes Konzept dafür. Er soll überall im Land einen zeitsparenden Umstieg zwischen den Zügen durch gute Anschlussmöglichkeiten gewährleisten. Auch hier mangelt es aber bisher an der Umsetzung, die – analog zum schweizerischen Taktverkehr – bei einem »Systemführer« zusammenlaufen muss: eine Deutsche Bahn, die sicherstellt, dass das ganze Land in einem dichten und verlässlichen Takt bedient wird und das System für alle zugänglich ist. Volle Barrierefreiheit muss dafür ebenso selbstverständlich sein wie ein nachvollziehbares Tarifsystem mit bezahlbaren Preisen.

Eine solche integrierte Planung ermöglicht auch eine langfristige Fahrzeugstrategie. Heute ist die Produktion geprägt von einem ständigen Wechsel zwischen dem Zeitdruck bei der Herstellung einer neuen Fahrzeugserie und anschließenden Auftragsflauten. Eine partnerschaftliche Kapazitätsplanung mit der (nachhaltig wachsenden) Fahrzeugindustrie könnte neue Arbeitsplätze entstehen lassen, die den Abbau in schrumpfenden Branchen wie der Auto- oder der Kohleindustrie auffangen könnte. Auch im Betrieb und in der Instandhaltung der Bahn könnten viele neue zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen (Knierim 2022).

Für eine nachhaltige Bahn ist nicht zuletzt der internationale Verkehr zentral, für den eine enge Kooperation mit den europäischen Nachbarländern notwendig ist. Die Politik muss nicht nur die steuerlichen Privilegien des Flugverkehrs abräumen, sondern ein Netz von Tag- und Nachtzügen schaffen, die innereuropäische Flüge komplett ersetzen können.

Eine gemeinnützige und demokratisch kontrollierte Bahn

Aber wie kommen wir von der heutigen Aktiengesellschaft zu einer DB, die all das umsetzen will und kann? Zuerst einmal braucht die DB endlich einen politischen Zielrahmen. Vorgeben sollte diesen der Bundestag, damit eine breite öffentliche Debatte stattfinden kann und die notwendige Finanzierung vom Parlament beschlossen wird. Statt des diffusen Profitziels ginge es um die Sicherstellung einer Mindesterreichbarkeit für Regionen und Städte bestimmter Größen, um die Umsetzung des Deutschlandtakts in definierten Stufen, um maximale Quoten für Verspätungen und Zugausfälle, um den Marktanteil im Personen- und Güterverkehr, um die Netzentwicklung oder auch um Klimaziele wie den Energieverbrauch oder die Quote an erneuerbaren Energien. Im Rahmen dieser Ziele müsste die DB mit den zugesagten öffentlichen Geldern verantwortungsvoll wirtschaften. Sie müsste aber keine betriebswirtschaftlichen Gewinne erzielen.

Um diese Ziele zu erreichen, braucht es aber auch eine Kontrolle der Umsetzung und eine permanente Weiterentwicklung auf Basis der Erfahrungen und neuen Herausforderungen. Nötig ist ein starkes und unabhängiges Kontrollgremium, das die Erreichung der Ziele prüft und Empfehlungen für die Umsetzung oder Nachsteuerung gibt. Dieses Gremium sollte anders als der bisherige Aufsichtsrat nicht rein politisch besetzt werden, sondern den Charakter eines Bürgerrats haben: Neben Umwelt-, Fahrgastverbänden und Vertreter*innen der Mitarbeitenden sollten dort auch einfache Bahnnutzer*innen vertreten sein – entweder per Los bestimmt oder gewählt. Die Interessen der Regionen sollten ebenfalls repräsentiert sein, da die Bahn eine wichtige strukturpolitische Funktion hat. Letztlich muss sichergestellt sein, dass die Bahn ihre Funktion für das Gemeinwohl optimal erfüllt und dafür realistische Ziele gesetzt bekommt, die dann auch in der Praxis und nicht nur auf dem Papier erreicht werden müssen. Für das Management dieses öffentlichen Unternehmens braucht es engagierte Bahner*innen, die Sachverstand und Begeisterung für einen guten öffentlichen Verkehr mitbringen.

Das Zusammenspiel zwischen einem solchen Management, dem Kontrollgremium und der parlamentarischen Kontrolle durch den Bundestag, der die Ziele festlegt und die Budgethoheit hat, würde eine gemeinnützige Entwicklung der Bahn sicherstellen. Zudem bräuchte es eine hohe Transparenz durch die Veröffentlichung aller relevanten Daten, damit alle sich ein Bild von der tatsächlichen Leistung machen und Verbesserungsvorschläge einbringen können.

Wie kann eine andere Bahnpolitik gelingen?

Ist solch eine Bahn realistisch? Die Markteuphorie der 1990er- und frühen 2000er-Jahre ist zwar fast verschwunden, aber es wird viel Druck auf die Regierung notwendig sein, damit die Bahn in die skizzierte Richtung steuert. Viele Schienen- und Umweltverbände kämpfen dafür und fordern eine ausreichende Finanzierung der Schiene. Gleichzeitig versuchen die Auto- und die Luftfahrtlobby, den Status quo zu erhalten, sodass Investitionen weiter vor allem in den klimaschädlichen Verkehr fließen und die Schiene ein Nischendasein fristet. Die Befürworter eines Wettbewerbs zwischen möglichst vielen Bahnunternehmen betreiben zudem weiterhin die Auftrennung der DB in ein öffentliches Netz und – langfristig komplett private – Transportunternehmen. Das wäre für das Ziel eines guten Schienenverkehrs kontraproduktiv und würde zu erheblichen Synergieverlusten und jahrelanger Selbstbeschäftigung führen. Nur eine integrierte Bahn ermöglicht die notwendigen tiefgreifenden Veränderungen in allen Bereichen.

Zusätzlich ist ein Strategiewechsel auf europäischer Ebene notwendig. Bisher setzt die EU rein auf den Markt und möglichst viele konkurrierende Unternehmen auf der Schiene. Doch diese seit Jahrzehnten verfolgte Strategie mit inzwischen vier »Eisenbahnpaketen« hat kaum zu mehr und besserem Bahnverkehr geführt. Das zeigt, dass eine stärkere staatliche Steuerung und Kooperation zwischen den Unternehmen benötigt wird. Ihren hochwertigen Taktfahrplan kann die Schweiz nur umsetzen, weil sie eben nicht an diese Regeln gebunden ist – ein solch attraktives Angebot brauchen wir aber in ganz Europa. Daher müssten genügend EU-Länder Druck machen für einen Strategiewechsel, der europaweit einen besseren Bahnverkehr schafft.