Sozialismus schien in diesem Sinne zu bedeuten, dass mit der Beseitigung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse die Technik sich endlich frei entfalten könnte. Dies würde zu immer weiterem Konsum führen, zu immer weiterer Vernichtung der natürlichen Umwelt und zur Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, die zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen würden. Zwar mochte all dies zum Besten der Menschen geschehen, doch am Ende würden mit der Zerstörung der Natur auch die Menschen leiden. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Zerstörung der Natur in den staatssozialistischen Ländern keineswegs hinter dem Stand der kapitalistischen Staaten zurückgeblieben ist. Die Ursachen sind wohl dieselben: das Modell der industriell-technischen Aneignung der Natur, die nachholende Modernisierung, die Hochrüstung, die Wissenschafts- und Technikgläubigkeit. Dies diskreditierte den Sozialismus, nicht den Kapitalismus, auf den viele der staatssozialistischen Konzepte zurückgehen. Die ökologische Diskussion der 1980er Jahre konnte also durchaus den Eindruck erwecken, sie wolle Marx an Radikalität überholen. Fortschrittsgläubig und im Sinne eines sehr eng verstandenen Materialismus, demzufolge Wohlstand und Glück der Menschen von der immer besseren Güterversorgung abhänge, habe er nicht an den Wurzeln des Industrialismus und an der wissenschaftlich-technischen Naturbeherrschung selbst angesetzt, sondern stetige Vermehrung des Reichtums angenommen, ohne die Grenzen des Planeten und die ökologischen Folgen zu bedenken. Der Traum des Kapitalismus, nämlich ungestörtes Wachstum und immerwährende Prosperität, wurde dem Sozialismus zugerechnet.

Der stumme Zwang der Akkumulation

Die ökologisch motivierte Kritik an Marx‘ Theorie gab Anlass zu einer neuen Lektüre seiner Texte. Sie zeigte, dass Marx die immer weitere Unterwerfung der Natur und ihre Umwandlung in die kapitalistische Form des Reichtums ablehnte. Dabei handelte es sich bei ihm nicht um eine Frage der Tugend. Ob die Menschen gierig sind und deswegen immer reicher werden und alles in Gold und Geld verwandeln wollen, ist nicht entscheidend. Denn alles hängt von den Verhältnissen ab, unter denen die Gier die Mittel findet, sich zu entfalten, also den Zwangsgesetzen der kapitalistischen Reichtumserzeugung, welche die Kapitaleigentümer mit Notwendigkeit zu immer weiterer Akkumulation drängen. Bei Strafe ihres Untergangs müssen sie investieren, um eine immer größere Menge des Produkts immer billiger zu erzeugen. Dazu ist es notwendig, zu rationalisieren, die Leistungsabgabe der Lohnabhängigen extensiv auszudehnen und in der gegebenen Zeiteinheit zu intensivieren. Dies wird durch wirkungsvollere Maschinen, neue Produkte auf der Basis spezifisch aufbereiteter Materialien und effizienterer Energienutzung erreicht. Der Zwang zur Akkumulation, in der Sprache der Marktideologie: Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, ist also das Ergebnis der Konkurrenz von nach privaten Gesichtspunkten für den Profit produzierenden Kapitaleigentümern. Dies macht es möglich, dass auch Krankheit oder Zerstörung zu Wertschöpfungen führen und sich in Wachstumsraten abbilden. Mit Wachstum messen die Kapitaleigentümer nicht den stofflichen Reichtum oder den Wohlstand an Zeit, Bildung oder Gesundheit der Einzelnen, ihr Glück und ihre Zufriedenheit, sondern den durchschnittlichen Zuwachs an möglichem Gewinn. Diese beschleunigte Akkumulation auf immer höherem Maßstab muss notwendig auch zu einer Erschöpfung des Bodens, der Menschen, der Umwelt und zwangsläufig auch zu ihrer Zerstörung führen. »Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.« (MEW 23, 530) Marx wandte sich damit kritisch gegen die bürgerliche Ökonomie und sozialdemokratische Vorstellungen, die allein in der Arbeit die Grundlage von Reichtum sahen, und wies auf eine Tendenz innerhalb der Produktionsweise hin, auch wenn er konkrete Folgen in vielen Hinsichten nicht antizipieren konnte: Degradation der Böden, Zersiedelung, Überfischung, Nahrungsmittel, die mit Antibiotika oder Chemikalien versehen sind und die Gesundheit schädigen, Wassermangel und mindere Qualität des Wassers, Desertifikation, Waldsterben, Klimawandel oder Verlust an Regenwald oder Biodiversität. Marx‘ Überlegungen besagen das Gegenteil dessen, was aus ihnen – affirmativ oder kritisch – gemacht wurde. Der Kapitalismus hat die gesellschaftlichen Produktivkräfte und den Reichtum derart und so einseitig entfaltet, dass sie unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen nicht beherrschbar sind. Es gibt eine global entfaltete gesellschaftliche Kooperation auf der Basis einer hochtechnologischen und wissenschaftlich ermöglichten Aneignung bzw. Schonung der Natur. Die Natur ist vergesellschaftet: Menschen greifen nicht mehr nur hier oder da in die Natur ein, sondern verfügen über den Planeten ebenso wie über das Leben auf ihm. Es gibt längst ein globales Wissen, das ein rationales und zukunftsfähiges Verhältnis zur Natur ermöglichen würde. Wissenschaften und Technologien sind so weit entwickelt, dass es schon lange möglich wäre, den gesamten Akkumulationsprozess anzuhalten und nach konkretem Bedarf selektiv von bestimmten Produkten oder Dienstleistungen eine bestimmte Menge zur Verfügung zu stellen. Insgesamt müsste es also kein Wachstum geben, sondern Befriedigung des Bedarfs auf einem demokratisch beschlossenen Niveau im gesellschaftlichen Verhältnis zur Natur. Auch eine demokratisch kontrollierte Absenkung des Skalenniveaus der Produktion, der Dienstleistungen oder der Konsumtion vor allem in den OECD-Staaten ist nicht nur denkbar, sondern auch sinnvoll. Das allerdings ist gar nicht möglich, weil es die Produktions- und Eigentumsverhältnisse nicht zulassen, die auf weitere Wachstumsschübe, auf Innovation und Konkurrenzfähigkeit drängen. In der herrschenden Politik wird das Ziel einer Überwindung der Akkumulationsdynamik nicht vertreten, auch nicht in der Form einer Minderung von Wachstum. Wachstum soll ökologisch, klima- und sozialverträglich werden. Dies soll durch Transformationen auf dem Gebiet der Energie, der Urbanisierung oder der Landnutzung, durch eine Veränderung von Produktion, Konsummuster und Lebensstil ermöglicht werden. Es wird das Unmögliche versucht, nämlich ein nachhaltigkeitsorientiertes Naturverhältnis mit der Akkumulationsdynamik des Kapitals zu vereinbaren. Die Erwartung ist, dass kapitalistisches Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt und fossile Energie durch erneuerbare ersetzt werden könnte. Die Erfahrungen mit früheren Krisenlösungen des Kapitalismus lassen vermuten, dass diese Lösung zu einem neuen Niveau der Inwertsetzungs- und Verwertungsdynamik und einer Reproduktion der Krise auf höherer Stufenleiter führt. Würde die Grüne Ökonomie zu einem Erfolgsmodell, sich also Kapital wirklich verwerten und die Profite höher sein als in früheren Phasen der Kapitalakkumulation, dann hätte dies einen stetigen Investitions- und Wachstumsprozess mit entsprechenden Profiten zur Folge. Zu erwarten sind paradoxe Effekte: neue Maschinen, mehr Konsum und Abfall – mehr statt weniger Naturverbrauch. Folgen für die Natur werden mit kapitalintensiven Strategien des Geoengineering und starken Veränderungen in den gesellschaftlichen Naturverhältnissen, zu denen auch gentechnische Eingriffe in das »Leben« gehören – z.B. Getreidesorten, die weniger Wasser benötigen –, bearbeitet. Sollen solche negativen Effekte auf Natur und Gesellschaft vermieden werden, dann bedarf es neuer Rohstoffkreisläufe, indem Gewinne mit der Wiedergewinnung schon benutzter Rohstoffe, mit verdichteten Besiedlungsmustern, neuen Formen der Lebensmittel- oder Rohstofferzeugung gemacht werden. Ein solcher metabolismusfreundlicher Regulationsmodus der kapitalistischen Akkumulation zeichnet sich bislang nicht ab, er ist aber auch deswegen unwahrscheinlich, weil er ein globales Natur- und Ressourcenmanagement verlangen würde, in dem die Konkurrenz um einen maximal rationalen Umgang mit knappen Ressourcen stattfinden müsste. Marx’ kategorischer Imperativ Grüner Sozialismus soll den Freiheitsraum für neue Formen der Entscheidung schaffen, die demokratisch sind und auf ein demokratisches gesellschaftliches Naturverhältnis zielen. Dabei geht es um mehr als die Bewahrung der Natur. Für viele schnell fortschreitende Zerstörungsprozesse kommen auch umfassende gesellschaftliche Veränderungen spät, wenn nicht zu spät. Jede emanzipatorische Lebensweise wird erst einmal Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte mit der Bewältigung der ökologischen Schäden zu tun haben, die die kapitalistischen und staatssozialistischen Modernisierungsprojekte hinterlassen haben. Über Bewahrung und Schadensbewältigung hinaus gibt es zudem den positiven Aspekt, um den Marx seinen Katalog kategorischer Imperative erweitert hat. Nicht allein sollen alle Verhältnisse überwunden werden, in denen Individuen geknechtet und entwürdigt sind; es gehöre auch zu den Aufgaben der Lebenden, die Erde den zukünftigen Generationen besser zu hinterlassen, als sie sie vorgefunden haben (MEW25, 784). Die Entfaltung der Springquellen des Reichtums meint nicht, Natur und Arbeit immer weiter auszubeuten, sondern eine Versöhnung zwischen ihnen, zwischen der gesellschaftlichen Arbeit und der Natur herzustellen. Das bürgerliche Projekt der Aufklärung war demgegenüber beschränkt. Es ging darum, die Natur zu beherrschen, um den Menschen die Furcht vor ihrer Gewalt zu nehmen und ihre Selbsterhaltung zu sichern; die Natur soll menschlichen Zwecken unterworfen werden. Dies geschieht durch Erkenntnis ihrer Gesetzmäßigkeiten, entsprechende technische Mittel erlauben es, jene auszunutzen. Dualistisch und unversöhnt stehen sich Natur und Gesellschaft gegenüber. Die Natur erscheint in ihren Gesetzmäßigkeiten alternativlos, sie muss unterworfen und von der Gesellschaft beherrscht werden. Letztere scheint frei von natürlichen Vorgängen und deswegen allein aus sich heraus begreifbar zu sein. Das dualistische und äußerliche Verhältnis von Natur und Gesellschaft wird von denjenigen reproduziert, die die Natur nur als ein Hindernis betrachten, das mit technischen Mitteln überwunden wird: schnelle Autos, Hochhäuser, Schönheitsoperationen. Natur kann in diesem Sinn als eine Ansammlung von Ressourcen verstanden werden, die der Mensch sich gleichsam unendlich fortschreitend erschließen, aneignen und ausbeuten darf. Allenfalls ist es ein Zeichen vorsorgender Klugheit, bei dieser Art der ausbeuterischen Naturaneignung eine mögliche Erschöpfung der Ressourcen und daraus entstehende Konflikte im Blick zu behalten sowie neue Ressourcen zu erschließen oder Substitute zu entwickeln. Dem stellen sich Naturschützer und Ökologen entgegen. Sie wollen die Natur bewahren, die einzelnen Arten, ökologischen Systeme oder die Natur als solche verteidigen. Die Menschen und die Gesellschaft sollen die Natur respektieren, vielleicht sogar sich an natürliche Kreisläufe anpassen. Dies ist eine ambivalente Position: Auf der einen Seite wird Naturzerstörung verlangsamt oder mitunter vermieden; auf der anderen Seite kann sie anti-aufklärerisch wirken, wenn im Namen von Harmonie oder Gleichgewicht mit der Natur gefordert wird, Menschen sollten sich einer von der »Natur« bestimmten Lebensform unterordnen. Auch in diesem Fall bleibt der Gegensatz von Natur und Gesellschaft erhalten, der Naturschutz ist letztlich der Akkumulations- und Modernisierungsdynamik untergeordnet. Dies wird in besonderer Weise dort deutlich, wo Unternehmensinteressen die chirurgische Manipulation am Körper oder die gentechnische Veränderung von Lebewesen zum strategischen Objekt haben und Argumente im Namen der Integrität der Schöpfung oder des Subjekts den entsprechenden Praktiken kaum einen Sperrriegel vorzuschieben vermögen. Dass die Natur vergesellschaftet ist, dass auch die sogenannten Gesetzmäßigkeiten der Natur spezifische, historische, kollektive Praktiken der Gesellschaft sind, und dass umgekehrt Menschen sich nicht nur beherrschend auf die äußere, sondern auch auf die innere Natur beziehen, gerät dabei aus dem Blick: dass sie ihre Triebe regulieren, ihre Stimmbänder modulieren oder den Körper auf bestimmte Weise ausbilden und bewegen, von diätetischen Gewohnheiten, Krankheit, Geburt und Tod gar nicht zu sprechen. Natur und Gesellschaft sind also ineinander verschränkt, sie gehen allerdings auch nicht ineinander auf. Sie bilden ein Verhältnis, genauer: Es kommt zur Ausbildung einer Vielzahl von gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Es handelt sich nicht um ein globales Verhältnis der Gesellschaft zu der Natur. Vielmehr vollziehen verschiedene Produktionsweisen, verschiedene sie tragende soziale Klassen oder Geschlechter oder soziale Gruppen unterschiedliche Verhältnisse zur Natur. In diesen unterschiedlichen Verhältnissen konstituieren sie Natur auf verschiedene Weise (Energie, Nahrungsmittel, Zeit und Raum, Verhältnis zum eigenen Körper). Deswegen reichen Konflikte zwischen Menschen immer über diese hinaus und betreffen auch die Natur und die konkreten Verhältnisse zu ihr, Herrschaft wird als Herrschaft über Menschen und Natur ausgeübt. Doch nicht alle diese Verhältnisse lassen sich durchweg als Herrschaft begreifen, vielmehr enthalten sie auch Momente der Versöhnung. Grüner Sozialismus zielt darauf, die Momente der Versöhnung zur Geltung zu bringen und beide Formen von Herrschaft zu überwinden. Eine Voraussetzung dafür ist, den Zwang zur Akkumulation zu überwinden. Dies beinhaltet, durch neu gestaltete gesellschaftliche Naturverhältnisse in einen neuartigen Stoffwechsel mit der Natur einzutreten, sie zu bewahren und in der Bearbeitung und Aneignung verbessert den Zukünftigen zu hinterlassen, also die Lebensweisen auf die gesellschaftlich erkannten, historisch spezifischen Grenzen der Natur umzustellen. Dass es solche Grenzen in planetarischem Maßstab gibt, ist selbst eine neue Erkenntnis und ein neues Verhältnis der globalen Gesellschaft zur Natur. Es ist umstritten, wo sie verlaufen, allerdings verlaufen die Diskussionen nicht völlig frei, denn Akteure wie Unternehmen oder Staaten haben dazu beigetragen, Erkenntnisprozesse, Diskussionen und mögliches Handeln zu blockieren. Diskussionen müssen so geführt werden, dass virtuell alle Betroffenen, die die Folgen zu tragen haben, auch an ihnen beteiligt sein können, um mit darüber zu entscheiden, was als nachhaltig und suffizient angesehen wird. Das gemeinsame Ziel wäre eine Lebensweise, die Gleichheit auch im Verhältnis zur Natur gewährleistet. 1 | Gleichheit meint zunächst, dass Rohstoffe wie Metalle oder Nahrungsmittel nicht zu Gunsten einer und zu Lasten einer anderen Gruppe ausgebeutet werden dürfen. Neben dieser Art imperialer Ungleichheitserzeugung kommt es zu einer strukturellen Ungleichheit: Arme haben häufig keinen Zugang zu sauberem Wasser, sie sind in besonderer Weise Opfer ungesunder Lebensmittel, mangelnder Versorgung oder die Gesundheit schädigender Arbeitsbedingungen. In zeitlicher Hinsicht wird Ungleichheit erzeugt, wenn Giftmüll dort versenkt wird, wo niemand akut geschädigt wird, aber langfristige Schäden erwartet werden können. 2 | Es geht weiter um das Niveau der Gleichheit. Oftmals schaden Praktiken erst, wenn sie einen bestimmten Umfang annehmen: Gleichheit auf einem bestimmten Skalenniveau führt zu weitreichenden negativen ökologischen Folgen: die Menge der Autos, die zahlreichen Flugbewegungen, der hohe Fleischkonsum, die Vielzahl der Skiläufer. Da solche Lebensformen mit umfangreichen Kapitalinvestitionen, Ausbeutung und Gewinn verbunden sind und deswegen nur schwer nach gesellschaftlichen Gesichtspunkten gelenkt werden können, bedarf es einer Umstellung der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten. Die Folge kann sein, dass nach dem Gleichheitskriterium also durchaus Verzicht für eine Teilbevölkerung oder eine nachhaltige Veränderung der Präferenzen notwendig sein kann. Aber nicht in allen Hinsichten wird sich Gleichheit erzielen lassen. Es gibt endlich positionale Güter, mit denen sich auch weiter Ungleichheit verbinden kann: die Lage eines Hauses, die Größe einer Wohnung, die unangenehmen Aspekte bestimmter Tätigkeiten; es werden weiterhin Rohstoffe benötigt, deren Aneignung die natürliche Umwelt schädigt und damit Lebensbedingungen von Individuen beeinträchtigt; das gleiche gilt für industrielle Verarbeitungsprozesse. Da sich nicht alles im Verhältnis von Menschen und Natur zugunsten einer Beseitigung von Ungleichheiten umgestalten lässt, ist entscheidend, dass Schäden so gering wie möglich gehalten werden, dass Vorkehrungen für eine Wiederherstellung getroffen werden, dass für die Individuen Alternativen möglich sind und ökologische Nachteile, von denen sie betroffen sind, nicht zu Lebensschicksalen gerinnen.

Liberale Demokratie und gesellschaftliche Naturverhältnisse

Dies führt schließlich zum Problem der Demokratie und zu der Frage, ob der Begriff der Demokratie überhaupt sinnvoll anwendbar ist im Verhältnis zur Natur. Heute ist die Lebensweise durch den Markt vermittelt und vielfach das Ergebnis einer Diktatur von Unternehmen: Produkte werden von wenigen Professionellen für ihre gewinnorientierten Unternehmen entwickelt, von diesen produziert und vermarktet. Das Bedürfnis der Individuen spielt eine untergeordnete Rolle, auch wenn es aufwendig von der Konsum- und Marketingforschung ermittelt und immer von neuem konsumistisch angereizt wird. Entscheidend ist die zahlungsfähige Nachfrage. Der Grüne Sozialismus will nicht die Gewalt des Marktes durch den Zwang des Staates ersetzen. Diese sozialdemokratische Konzeption hat, wie der Markt, seit langem ausgedient. Die Alternative zu diesen beiden Koordinationsformen ist – obwohl ebenfalls seit langem unter dem Namen Sozialismus bekannt – bislang nur ansatzweise ausprobiert worden: die demokratisch regulierte Selbstkoordination der Individuen, also Formen, in denen sie über den Bedarf, die Produkte, die diesen Bedarf befriedigen könnten, ihre Menge, ihre Form, die Arbeitsbedingungen, unter denen sie erzeugt und verteilt werden, gemeinsam entscheiden. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das Verhältnis zur Natur überhaupt demokratisiert werden kann und ob eine solche Form demokratischer Selbstkoordination vor naturzerstörerischen Folgen schützen kann? Grüner Sozialismus stellt besondere und neue Anforderungen an die Demokratie. Dies gilt mit Blick auf die Natur ebenso wie mit Blick auf Gesellschaft und Politik. Wenn die Natur als ein äußerer Zwang gesehen wird, haben demokratische Entscheidungsprozesse sich diesen zu fügen. Wird Natur als Ressource gesehen, spielt die Demokratie ebenfalls keine oder allenfalls eine indirekte Rolle dann, wenn demokratisch über Ressourcenaneignung oder -verwendung oder Errichtung von Infrastrukturen entschieden würde. Aber auch in solchen Fällen sind soziale Interessen ausschlaggebend; und es liegt nahe, dass es zu Machtbildung hinsichtlich der Beherrschung von Natur kommt. Im gängigen liberal-demokratischen Verständnis wird kein Anspruch erhoben, Demokratie in besonderer Weise auf das Verhältnis zur Natur selbst zu erweitern und die Inwertsetzung von Natur zu verhindern. Unterstellt wird, dass Demokratie das Ergebnis eines Vertragsverhältnisses zwischen Menschen ist. Diesen Vertrag gehen sie ein, um ihre Selbsterhaltung zu sichern. Die Gesellschaft konstituiert sich als politisches Gemeinwesen, in dem alle dem Gesetz Unterworfenen virtuell dessen Autor sind. Das Gesetz regelt die Rechte der Individuen untereinander und gegenüber dem Staat; es verhindert, dass die Individuen ihre Freiheitsrechte missbrauchen und die Freiheiten anderer beschränken. Rechtsstaat und Demokratie binden auch den Staat selbst ans Recht. Diese Praxis hat weitreichende Folgen für die Konstitution eines bestimmten, herrschenden Naturverhältnisses. 1 | Obwohl Unternehmen mit Investitionen, Arbeitsplätzen, Produkten, Vertriebswegen, mit Konsumformen das Leben der Menschen wesentlich bestimmen, gelten solche die gesellschaftlichen Naturverhältnisse konstituierenden Praktiken als private Entscheidungen und Lebensformen. Demokratische Entscheidungen können allenfalls auf Rahmenbedingungen Einfluss nehmen. 2 | Unterstellt wird, dass die Reichweite der nationalstaatlichen Gesetzgebung das gesamte Verhalten der Bürger kodiert. Das ist nicht der Fall. Denn indem der Rechtsstaat die Freiheit der Eigentümer schützt, greift er in deren Lebensweise und Marktverhalten nur bedingt ein. Konsumenten veranlassen durch ihre marktvermittelte Nachfrage den Import von Lebensmitteln oder Rohstoffen. Im Kaufakt selbst müssen sie sich nur selten Rechenschaft über die Folgen ihres Tuns für Natur und Menschen ablegen. 3 | Parlamente können in die Gesellschaft nur mit Gesetzgebung, Steuern oder Subventionen eingreifen. Da ihr Zeithorizont kurz ist, können sie langfristige ökologische Folgen kaum angemessen in ihre Entscheidungen einbeziehen. Zudem unterstellt parlamentarische Demokratie, dass jede Entscheidung vom Volkssouverän durch die Bildung einer neuen Mehrheit zurückgenommen werden könnte. Das ist demokratiepolitischer Idealismus, denn de facto werden die Naturverhältnisse und damit irreversibel die Entscheidungsgrundlagen verändert. Folglich ginge es darum, über die Art dieser Irreversibilität selbst noch kollektiv zu entscheiden. 4 | Der Staat ist der Staat des Kapitals – nicht ausschließlich, aber seinem Gravitationsgesetz nach. Er setzt Recht und Geld dafür ein, Wissen, Technologien, Infrastrukturen, ein herrschendes Verhältnis zum eigenen Körper, zur Gesundheit und zur Reproduktion der Gattung zu stützen, die den Zweck haben, die private Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums zu fördern. Auf diese Weise durchdringen sich Naturverhältnisse und Verwertungsprozesse und erscheinen alternativlos. Aufgrund dieser vier Aspekte, die die Konstitution des demokratischen Gemeinwesens, die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, ihre Reichweite und schließlich die Prozesse der Ausführung betreffen, ist von Demokratie in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit für das Verhältnis zur Natur wenig zu erwarten. Mit Blick auf die gesellschaftlichen Naturverhältnisse wird deswegen eine Neufassung der Demokratie selbst erforderlich, die die liberal gezogene Grenze zwischen Politik, Wirtschaft und Natur überschreitet, um Komplexität selbst zu demokratisieren.

Zur Demokratisierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse

Zunächst müssen Bedarf, Technologien, Investitionen und Produktion, also die Aneignung und Bearbeitung der Natur, Verteilung und Konsumformen der Produkte mit Blick auf die Folgen für und Gestaltung von natürlicher Umwelt zum Gegenstand demokratischer Entscheidung werden. Entsprechende Verfahren müssen Entscheidungen über Technologie- und Infrastrukturpfade ebenso einschließen wie über Betriebsweise und Produkte, also ihre stofflichen, energetischen, ästhetischen und Nützlichkeitsaspekte. Wirtschaftsdemokratische Institutionen stellen ebenso wie Parlamente wesentliche Knoten in einem solchen Demokratiekomplex dar. Auch der räumlich-ökologische Zusammenhang von Entscheidungen muss berücksichtigt werden können: Auch wer in der Ferne betroffen ist, muss sich beteiligen können. Mit Blick auf die Naturaneignung oder Einrichtung von Infrastrukturen muss gesellschaftlich deutlich werden, dass es sich um allgemein relevante Entscheidungen handelt. Auch der zeitliche Horizont von Entscheidungen muss ausgedehnt werden. Naturaneignung, -verarbeitung wie Abfallentsorgung müssen auf langfristige Gesichtspunkte umgestellt werden. Die gegenwärtigen Zukunftshorizonte umfassen zwischen 20 und 80 Jahren und sind mit hohen Unsicherheiten verbunden, durch Technologieentscheidungen wird aber vielfach über mehrere Jahrhunderte oder gar Jahrtausende entschieden. In solchen Fällen müssen Entscheidungen überhaupt zur Disposition gestellt werden können, da Reversibilität nicht gewährleistet ist. Endlich muss der Staat mit seinen abstrakt-allgemeinen Steuerungsmitteln und seinen Verwaltungsmechanismen durch an demokratische Entscheidungen gebundene und allgemein kontrollierbare Selbstverwaltungseinrichtungen ersetzt werden, die subsidiär von unten nach oben transparent Entscheidungen ausführen. Demokratie löst sich dann vom Staat und stellt eine selbstbestimmte Regelung der Verfahren der Selbstkoordination dar. Alle nehmen an den Entscheidungen über Orte der Produktion, ihre Betriebsweise, Technik, Forschung und Entwicklung, Umfang und Formen der Produkte, Dienstleistungen, die Art und den Umfang ihrer Erbringung im Lichte ihrer Erfahrungen mit der Aneignung der Natur teil. Zu entscheiden ist, was notwendig und wie viel genug ist, was auf welche Weise verbessert werden könnte, wie viel Arbeit auf welche Weise und von wem erbracht wird. Entscheidungen werden derart getroffen, dass sie historisch und mit Blick auf das Verhältnis zur Natur nachhaltig sind, also das Ziel der Verbesserung der Erde verfolgen. Aber es handelt sich immer um Kriterien der Gegenwärtigen. Deswegen sollten die Erwartungen an die Rationalität demokratischer Entscheidungen nüchtern bleiben. Demokratische Entscheidungen können das Nicht-Wissen des Nicht-Wissens nicht außer Kraft setzen. Sie bieten allerdings möglichst Gewähr dafür, dass bestimmte Formen der Aneignung und Verwendung der Natur nicht stattfinden. Im Fall neuer Erfahrungen und Erkenntnisse können einmal getroffene Entscheidungen rückgängig gemacht oder Lebensgewohnheiten überprüft werden, auch wenn dabei Verluste hinsichtlich der schon festgelegten Ressourcen in Kauf genommen werden müssen. Da es keine vermachteten Interessen mit Erpressungspotenzial (Verfügung über Produktionsmittel, Kreditvergabe, gesetzliche und militärisch-polizeiliche Mittel) gibt und hohe Bildung bei allen besteht, sind die Hindernisse verringert. Nichtrationale Ergebnisse von Entscheidungen sind zu erwarten – wir erleben sie auch heute, sodass sich allein die Frage nach Ausmaß der Irrationalität und dem Umgang damit stellt. Unter demokratischen Bedingungen eines Grünen Sozialismus wären in der Tendenz alle an den Entscheidungen beteiligt, sie könnten dazu beitragen, Negatives zu vermeiden, könnten Positives anregen. Aus individueller Sicherheit, Mitbestimmungs- und Kontrollmöglichkeiten und der egalitären Organisation der gesellschaftlichen Arbeit führt das zu allgemeiner Wohlfahrt. Irrationale Entscheidungen und ihre Kosten sind nicht auszuschließen, aber diese Kosten tragen alle. Da dies alle wissen, würden sie auch eher versuchen, Entscheidungen zu Lasten der Natur in der Nähe und in der Ferne zu verhindern. Das könnten sie, weil sie nicht um ihre Existenz, ihr Leben, nicht um ihre Freiheiten und ihre Beteiligungsrechte fürchten müssten.  

Literatur

Marx, Karl, und Friedrich Engels: Werke. Berlin/DDR 1957ff., zitiert: MEW

Anmerkungen